„Eine grelle Orgie aus Hass und Selbsthass mit Explosionen am Laufmeter, und die Inszenierung bringt sie laut genug zum Knallen.“
2011, Schweizer Erstaufführung am Stadttheater Bern
Text: Sibylle Berg Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Patric Bachmann Bühne: Steffi Wurster Kostüme: Katharina Meintke Video: Florian Barth Musik: Michael Frei Fotos: Philipp Zinniker und Elisa Alessi
Mit: Patricia Berchtold, Henriette Cejpek, Andreas Eggel, Michael Frei, Marcel Gurtner, Philip Hagmann, Benjamin Küni, Sabine Martin, Dominique Müller, Ingo Ospelt, Marcus Signer, Milva Stark, Margot Vandrich, Stefano Wenk
„Irgendwann fand ich sie niedlich, wie sie am Morgen aus dem Bett taumelten, die kleinen Körper in geborgte Kleidung steckten, von Menschenleitsystemen durch die Stadt gesteuert, um etwas zu produzieren. Ich hatte Tränen in den Augen, wenn ich sie Omas beim Sterben begleiten sah und singen in albernen Chören.“
Nur wer anpassungs-, zeugungs- und durchsetzungsfähig ist, wird die eigene Art erhalten. Dieses Naturgesetz gilt gleichermaßen für die Evolution wie fürs Wirtschaftsleben. Und während in letzterem der arbeitende Mensch ums Überleben kämpft, gilt in der Natur längst ausgemacht, dass die Ratten die Herrscher der Welt sein werden, wenn sich der Mensch endlich vernichtet hat.
In Sibylle Bergs HAUPTSACHE ARBEIT! haben die Ratten das Regiment bereits übernommen und attackieren die Menschen dort, wo sie am verletzlichsten sind: in ihrer Funktion als Arbeitnehmer.
Der harmlose Betriebsausflug auf einem Ausflugsdampfer, das gesellige Miteinander an einem lauen Sommerabend bei gutem Essen, alkoholischen Getränken und plätschernder Tanzmusik wird zur Hölle. Angetrieben von einer als Motivationstrainer verkleideten Ratte wird die Firmenfeier zur Bühne für hemmungslose Selbstdarstellung, gnadenlosen Konkurrenzkampf und unzivilisierte Bösartigkeit im Wettbewerb um die verbleibenden Arbeitsplätze. Schonungslos, mit einem hemmungslosen Feuerwerk an Pointen, bitter, sarkastisch und melancholisch entlarvt Sibylle Berg das sinnentleerte Leben des modernen Menschen, für den Arbeit – egal welche – der einzige Lebensinhalt ist, als kontinuierlichen Deformationsprozess.
Aktuelle Bilder überlagern sich mit jenen aus Diktaturen der Vergangenheit
Sibylle Berg hat ein schonungsloses, beißendes Stück mit prägnanten Aussagen über die Welt der Angestellten und ihre Abhängigkeiten von Sex, Alkohol und Niktotin geschrieben. Antje Thoms inszeniert diese Satire ebenso rückhaltlos aggressiv. „Hauptsache Arbeit!“ setzt auf absichtliche Verzerrungen, um die Befindlichkeiten radikal herauszustellen. Diesen Absichten entspricht die Regie. Die Firmenoligarchie erscheint als rauchendes und trinkendes Rattenduett im Schattenriss, der Motivationstrainer als Wiedergänger Stachanows. Der unqualifizierte Chef reagiert seinen männlichen Triebstau an den weiblichen Angestellten ab und sorgt (glimpflich ausgedrückt) für unangenehme Intermezzi. Der Zuschauer stellt bald fest, dass seine Assoziationen in die verschiedensten Richtungen ausschwirren. Aktuelle Bilder überlagern sich mit jenen aus Diktaturen der Vergangenheit, wenn die Mitarbeiter nach den Mustern der Schauprozesse zu öffentlichen Geständnissen gezwungen, Lügendetektoren eingesetzt, manipulierende Reden gehalten, autosuggestive Übungen verordnet und am Ende zwangsweise sedierende Drinks verabreicht werden. Fast alle Angestellten wandeln sich zu glücklichen Mitläufern in diesem Sklavensystem, das auch der Party seine Gesetze diktiert. Die einzige Gegenwelt wächst in einer der Kojen auf dem Unterdeck heran. Ein scheues Liebespaar findet zueinander, während auf dem Oberdeck die Gäste sturzbetrunken vor sich hin dösen. Ein starkes und in seiner Gegensätzlichkeit zugleich schmerzliches Bild für ein Stück, das sich allen falschen Hoffnungen strikt verschließt.
Der böse Humor reicht für alle hier
Wie wird man Angestellte los, die nicht von sich aus gehen? In ihrem Stück tritt Sibylle Berg den Klassenkampf auf einem Partyboot los – ein Betriebsausflug als Entlassungsrunde, dirigiert von einer als Motivationscoach verkleideten Ratte. Das Selbstverwirklichungsversprechen des Spätkapitalismus wird als ebenso hohle wie zynische Phrase demontiert. Aber was heißt hier demontiert – das macht der Kapitalismus schon selber. Dass der bunte Abend mit „paardynamischen Spielen“ bloß eine Downsizing-Maßnahme ist, erklärt der Chef gleich zu Beginn (betörend in seiner unangestrengten Menschenverachtung: Philipp Hagmann). Fiese Spiele, böser Witz – dass die Abarbeitung von Schadenersatzansprüchen zwischen Kaffeemaschinen und Kollegen, die sich kaum von Kaffeemaschinen unterscheiden lassen, nichts mit der Verfeinerung des Ichs zu tun hat, sondern mit dessen Verödung – klar. Und wer es noch nicht gemerkt hat, hört es von der Motivationsratte, die eigentlich eine Demotivationsratte ist (Stefano Wenk, so furios wie cool): „Ein Leben kann doch nicht in einem Großraumbüro stattfinden, es müsste doch eine Belohnung geben. Und dann kommt da: nichts.“ Weil es kein richtiges Leben gibt im falschen, erst recht nicht, wenn man sein Leben einer Firma verkauft und seine Person mit Haut und Haar dazu. Der böse Humor reicht für alle hier. Und nun ist sie da, die Frage, wohin das führen soll. Das ist allerdings auch der Moment, da sie sich erledigt, denn schon geht es zügig in die Hölle, das eigentliche Thema beginnt. Es heißt: Das Leben ist scheußlich. Berg wendet sich ihrem Kerngeschäft zu: der skandalösen Trostlosigkeit des Menschseins überhaupt. Während auf dem Firmenfest die Krawatten und die Gesichter immer ärger verrutschen, stürzt mit dem besoffenen Örgelchen des Alleinunterhalters auch die ganze Gesellschaft ab ins Unterdeck. Hier wird es richtig schlimm und richtig lustig. Das Fräulein Sachbearbeiterin leckt Erbsenmus von einer Fensterscheibe, der Kollege sitzt schon ewig onanierend im Fernsehzimmer, der Chef vögelt Angestellte, die Plastiksäcke auf den Köpfen tragen, während sich nebenan die Büroschafe mit Stromschlägen quälen. Eine grelle Orgie aus Hass und Selbsthass mit Explosionen am Laufmeter, und die Inszenierung bringt sie in den engen Kabinen unter Deck laut genug zum Knallen. So schön wie Sibylle Berg weidet sonst niemand das Elend des Lebens an und für sich aus. Einer bricht weinend zusammen, weil er seine Mutter ins Pflegeheim abgeschoben hat, einer wünscht sich einen Flammenwerfer „zum Ausbrennen dieser selbstgerechten Gesichter“ am Morgen im Bus. Was sich diese Leute aus dem Leib kotzen, ist die Enttäuschung über ihr schäbiges Leben und die Angst, dass aus ihren großen Wünschen nie mehr etwas wird. Sie fürchten sich zu Recht – das Partyboot wird zum Totenfloss. Überlebende am Ende: die Ratte, naturgemäß geübt im Verlassen sinkender Schiffe. Und jene beiden Angestellten, die sich früh genug ins Raucherzimmer abgesetzt haben. Adam und Eva, und sie rauchen gern: so viel Trost muss sein.
Mechanik der Angst
Selbst wenn Arbeit Menschen über Leichen gehen lässt: Arbeit ist das ganze Leben. Das Stadttheater Bern bringt Sibylle Bergs Satire über die Lebenslogik des Kapitalismus zur Schweizer Erstaufführung. Ein mitreißender Abend, der das Lachen oftmals auf den Lippen gefrieren lässt. Es ist die Mechanik der Angst, die die Firma und das Leben der Menschen regiert. Es folgen Männlichkeitsrituale, Sportlichkeitsrituale, Gesundheitsrituale und das Spiel gipfelt in einem Wettbewerb der geheuchelten Bekenntnisse darüber, was die Firma für das eigenen Leben bedeutet. Unter dem Tanzdeck wird derweil lustlos onaniert, kopuliert und schließlich auch mittels Stromexperimenten exekutiert. „Das wird an Firmenfesten erwartet.“, so der lakonische Kommentar. Bergs plakativen Strauß bitterbös zugespitzter Beobachtungen packt die Inszenierung von Antje Thoms in einen schwungvollen Abend, der das Lachen oft auf den Lippen gefrieren lässt. Zurück bleibt ein Haufen toter Versicherungsangestellter. Nicht Mord, sondern Kunst würden die Ratten das Werk nennen.
Kampf auf Leben und Tod
Ein Betriebsausflug auf einem Vergnügungsschiff – doch echtes Vergnügen will nicht aufkommen. Der Ausflug führt den knallharten Konkurrenzkampf aus dem Büroalltag weiter. Sibylle Berg zeigt in ihrem bitterbösen Stück „Hauptsache Arbeit!“ Angestellte, die sehr weit gehen, um bleiben zu dürfen. Antje Thoms inszeniert einen Kampf auf Leben und Tod.
Bizarrer Totentanz
„Hauptsache Arbeit!“, das ist so ein Spruch, so eine angebliche Lebensweisheit, so eine Stammtischfloskel. – Hauptsache man hat Arbeit, Augen zu und durch, egal was da mit einem veranstaltet wird, wie beschissen die Arbeitsbedingungen sind, wie aufgeblasen der Chef sich geriert. Und gleichzeitig ist es bittere Wahrheit in spätkapitalistischen Zeiten, in denen umgeschichtet wird, umstrukturiert, rationalisiert, alles nur zum Wohl des Unternehmens. Die Bilanz ist alles, das Personal nichts. In Sibylle Bergs Stück „Hauptsache Arbeit!“ herrschen Ratten über die Welt, Arbeit ist Luxus und Angestellte sind Marionetten. Die Hölle, das ist dieser Betriebsausflug. Die Firma muss schrumpfen, der Gewinn steigen – und so werden die Arbeitnehmer gegeneinander gehetzt. Wer verliert, verliert seinen Job. Partyspiele um die Existenz, dazwischen die ganz normalen persönlichen Tragödien und Intrigen zwischen Kantinengeplauder samt Selbstentblößung. Hier geht es um die Existenz. Es folgt ein bizarrer Totentanz, der im kollektiven Selbstmord endet. Eine bitterböse Komödie, tiefschwarzer Humor, Sibylle Bergs Blick ist gnadenlos, und meist bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Wie sagte unlängst ein Bekannter zu mir, um irgendeine Sauerei in seiner Firma zu rechtfertigen: – „Ich hab‘ dem Unternehmen gegenüber ja auch eine Verpflichtung.“ – Das könnte ein Satz aus Sibylle Bergs Stück sein. Hauptsache Arbeit!
Eine Folie für ein grauenvolles Leben
Welch ein zynischer Blick auf die Arbeitswelt und das unwürdig gewordene Leben! Schon der Betriebsausflug auf einem Dampfer hat etwas Zynisches an sich: In perfiden Spielen gibt es den einen oder anderen Arbeitsplatz zu gewinnen. Und so geht ein böses und niederträchtiges Spiel los – angestachelt durch eine Motivationsratte (agil-perfid: Stefano Wenk), die sich mephistoartig durch die verunsicherte Abendgesellschaft windet. Brutal bläst sie den aufgescheuchten Angestellten mit frauenverachtenden Parolen den Marsch. Listig-lässig thront sie alsdann über dem Geschehen, das sie lenkt. Man ahnt bald einmal: Das wird für die Mitarbeiter dieser Versicherungsgesellschaft böse enden. Die Spiele auf dem Schiffsdeck und in den tiefer gelegenen Kabinen werden perverser, die Erniedrigung der Frauen unerträglicher. Sibylle Berg seziert mit „Hauptsache Arbeit!“ die Degeneriertheit des Kapitalismus mit seiner ausbeuterischen Widerlichkeit mit derart schwarzem Sarkasmus und grotesker Überzeichnung, dass daraus schon wieder eine bestechende Analyse über die grausame Sinnlosigkeit des Lebens wird. Regisseurin Antje Thoms findet einen Weg, um sich auf dem schmalen Grat zwischen drastischem Paukenschlag und noch knapp vorhandener Menschlichkeit zu bewegen. Ist die Folie der gnadenlosen Arbeitswelt aber mal abgestreift, gibts nichts mehr zu lachen. Das Leben – auf seine Scheußlichkeit reduziert.
Der Kapitalismus überwindet sich selbst
Manche Theaterstücke haben in den vergangenen Jahren die Geschäftswelt thematisiert; so abgedreht wie die Wirklichkeit waren sie selten. In ihrem Bühnenwerk «Hauptsache Arbeit!» wirft Sibylle Berg rauchende Ratten in den Ring. Einer der Nager schlüpft in dem Stück in die Haut eines Motivationstrainers. Als Stargast begleitet er eine ausgepumpte Belegschaft auf einem Firmenseminar mit Bootsausflug. Die Angestellten erwarten von ihrem Aufenthalt auf dem breit im Raum stehenden Schiff von Beginn an nichts Gutes. Die Vorstellung, auch am Abend noch Zeit mit jenen Leuten zu verbringen, die sie sonst mit der Kaffeemaschine verwechseln, ertragen sie nur dank vieler Drinks. Doch es kommt noch schlimmer: Mit einer Art Castingshow soll die Belegschaft dezimiert werden. „Hauptsache Arbeit!“ enthält einige Klischees, poetische Passagen gibt es ebenso, der Bootsausflug findet ein unerwartet radikales Ende: Der Kapitalismus überwindet sich selbst; die rauchenden Ratten, die im Video aus dem Schiffsbauch grüßen, feiern ihren Triumph. Der Widerstand, so es ihn noch gibt, dümpelt links unten vor sich hin. Langweilig wird es in dem Stück, das in Bern Antje Thoms inszeniert, jedenfalls nicht.