„Komisch, vergnüglich, hellsichtig.“
2024, Inszenierung am Theater Regensburg
Text: Friedrich Dürrenmatt Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Maxi Ratzkowski Ausstattung: Florian Barth Fotos: Tom Neumeier Leather
Mit: Kathrin Berg, Joscha Eißen, Gerhard Hermann, Michael Heuberger, Thomas Mehlhorn, Jonas Julian Niemann, Sophie Juliana Pollack, Guido Wachter, Paul Wiesmann
“Ich möchte die Weltgeschichte nicht stören.”
Rom 476: Die Staatskassen sind leer, die Armee ist fahnenflüchtig und die Germanen stehen vor der Tür. Während sich das Reich dem Untergang zuneigt, hat Kaiser Romulus, Insolvenzverwalter der abendländischen Zivilisation, andere Sorgen: Seine Hühner legen kaum noch Eier und das Futter ist noch nicht bezahlt. Minister und Familie sind verzweifelt und man fragt sich: Ist so viel Desinteresse an der Weltpolitik Wahnsinn, Faulheit oder Kalkül?
Dürrenmatts Frühwerk, ein scharfzüngiger Kommentar auf unsere Gegenwart, ist eine sarkastische Geschichtsstunde über Projektionen, Fassaden, Krisenpolitik und Zeiten des Umbruchs. Grotesk, mit viel Sprachwitz und philosophischem Tiefgang zeigt ROMULUS DER GROSSE einen untätigen Herrscher, der sein Weltreich – nicht ohne Absicht – dem Untergang preisgibt.
Wahnsinn, Humor und Weltuntergang
Als Kaiser zu faulenzen gefährdet den Staat – als Politiker zu faulenzen gefährdet die Menschheit. Diese Perspektive fängt Regisseurin Antje Thoms hervorragend ein. Beinahe kann man die Gleichgültigkeit des Hühnerzüchterkaisers nachvollziehen und findet sich beim Zuschauen zwischen Wahnsinn, Humor und Weltuntergang wieder. Beim Schließen des Theatervorhangs bleiben viele Fragen offen: Wie handeln, wenn der Staat Dringlichkeiten nicht erkennt? Was tun, wenn Regierungen handlungsunfähig wirken? Die Frustration und Verzweiflung über Kaiser Romulus bleiben somit nicht im Theatersaal, sondern sind im Hinblick auf die Themen, die unsere heutige Politik bewegen, erschreckend nachvollziehbar.
Begeisternde Inszenierung
Das Stück, in dem es in einer sehr freien Art, die mit den historischen Fakten wenig zu tun hat, um das untergehende Rom im 5. Jahrhundert geht, erfordert von der Regie eine sensible Gratwanderung, die weder in Klamauk auf der einen Seite, noch in eine tragisch-depressive Stimmung auf der anderen Seite abrutschen darf. Am Theater Regensburg gelingt nun der Schauspieldirektorin Antje Thoms diese Gratwanderung auf beeindruckende Weise. Ihre Inszenierung sorgt durch zahlreiche originelle und amüsante Details für Heiterkeit, räumt aber auch den tragischen Momenten Raum zur Entfaltung ein.
Komisch, vergnüglich, hellsichtig
Der Feind steht vor der Tür, aber der Kaiser beliebt zu chillen und Hühner zu züchten: Antje Thoms inszeniert das Stück nah an Dürrenmatt. Das ist stimmig gemacht, komisch, vergnüglich, hellsichtig… Sie hat vor allem ein Ensemble zur Hand, das sich freudig, so virtuos wie rasant in seine Zwei- und Dreifachrollen stürzt. Guido Wachter zeigt Romulus erst als unerschütterlich bräsigen Insolvenzverwalter des Imperiums, der die Büsten seiner Vorfahren verschachert und selbst die Blätter seines Lorbeerkranzes rupft, um das Nötigste zu zahlen. Er spielt ein beträchtliches Talent zur Komik aus, bevor er schlagartig wechselt zum knallharten Apologeten des Untergangs. Der Star des Abends aber ist Dürrenmatts Text, Sätze wie gemeißelt, zeitlos, geistreich, hellsichtig, viele bonmot-tauglich, viele geeignet, sich daran zu entzünden.