„Spitzen-Solo am Staatstheater... Regisseurin Antje Thoms setzt auf die Direktheit der Ansprache und nimmt das Publikum mit. Das gelingt auch deshalb so gut, weil Sascha Tuxhorn dieses Experiment eminent elegant auf die Bühne bekommt. Ein Türöffner.“

2021, Inszenierung am Staatstheater Nürnberg, eingeladen zu den Bayerischen Theatertagen 2022

Text: Chris Thorpe, Deutsch von Katharina Schmitt Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Sascha Kölzow Ausstattung: Madeleine Mebs Mit: Sascha Tuxhorn Fotos: Konrad Fersterer

 

“Wenn wir immer nur das bestätigt sehen wollen, was wir zu wissen glauben, dann gibt es ein riesiges Spektrum von Möglichkeiten, die wir niemals zur Kenntnis nehmen können.”

Je nachdem, auf welcher Seite wir stehen, sind wir sicher, dass die Fakten für uns sprechen. Dass wir Recht haben und die andere Seite schlicht zu uninformiert ist, um die Welt zu sehen, wie sie ist. Aber worauf gründet unsere Gewissheit, im Recht zu sein? Die Psychologie nennt diese Phänomen „Confirmation Bias“ oder “Bestätigungsfehler” – unsere Neigung, jede Information so zu interpretieren, dass sie in unser Weltbild passt. Der unbewusste „Bestätigungsfehler“ schützt und behindert uns gleichzeitig. Kann man ihn auch ausschalten? Gegenteilige Ansichten wirklich verstehen? Was passiert, wenn man ernsthaft versucht, die Realität mit den Augen des anderen zu sehen? Alles, woran man glaubt, in Frage zu stellen? Verändert sich unser Bild der Wirklichkeit?

Chris Thorpes Solo-Stücke sind persönliche Recherchen und Selbstversuche, die sein Ringen um das Verstehen politischer und gesellschaftlicher Problemlagen und Prozesse zeigen. In “Bestätigung” sucht er, der überzeugte Linksliberale, den Dialog mit einem Rechtsextremen. Ein Experiment, das Fragen aufwirft. Wie weit sollen Kommunikation und Verständnis gehen? Und wo endet eigentlich Toleranz?

Stand-Up-Comedy mit Tiefgang

Der ist doch wie ich, könnte man denken, jung und sexy. Aber dann sagt Peter, er sei „Nationalsozialist“, ganz offen, ganz unbescholten, so als sei er Vegetarier oder Linkshänder oder Fan der Fischerchöre. Geht das? Oder besser: Wie geht man um mit ihm, dem schwarzen, vielmehr tief braunen Peter im großen Gesellschaftsspiel? Das ist die Frage, die sich Thorpe und das Nürnberger Team stellen: Sascha Tuxhorn als „leading man“ des Ensembles, Antje Thoms als seine konzentrierte Regisseurin. Bei der Premiere am Freitag in den Kammerspielen bekamen sie reichlich Applaus. Und Tuxhorn, schon immer ein Meister kleinster Gesten, ein ebenso intellektueller wie sinnlicher Spieler, der jeden Moment die Ausdruckslage ändern kann, für jede Situation die Nuance neu scharf stellt – er macht das perfekt.

Gut, dass das Original für die deutsche Gemütslage angereichert und auch aktualisiert wurde; noch besser, dass Tuxhorn sich ganz persönlich mit einbringt, von der Wohnung in der Südstadt bis zum lebensbegleitenden Satz der Mutter über rücksichtslose BMW- Fahrer… Das gibt dem Monolog Lockerheit und unterhaltsamen Humor, stellt die etwas enge englische Prämisse – hoppla, ein intelligenter Nazi?! – in ein weiteres Feld der Gefährdung. Man denke an die schleichende Salonfähigkeit rechtsextremer Ansichten bei AfD und anderen, an die völlig enthemmte Radikalität in Internet und sozialen Medien.

Eintauchen ins andere Betriebssystem

Wie weit können und dürfen Toleranz und Verstehen wollen gehen, und wo findet beides auch in einer Demokratie ihre Grenzen? In Nürnberg ist der britische Dramatiker Chris Thorpe dem „Bestätigungsfehler“ auf der Spur: Der ließ den Menschen zwar schon immer den Alltag besser meistern, führt aber nicht unbedingt zur objektiven Weltwahrnehmung. Wir alle, sagen Psychologen, nehmen nur wahr, was in unser gedankliches Betriebssystem passt. Im gesellschaftlichen und politischen Umfeld ist es aber recht ungünstig, wenn dieselben Informationen und Tatsachen völlig konträr eingeordnet werden. Und weil wir gerade in einer Zeit mehrerer Umbrüche zu schweben scheinen, stellt sich die Frage schon: Von was reden wir hier eigentlich? Und wo ist das Ende einer gemeinsamen Spielfläche erreicht?

Regisseurin Antje Thoms setzt auf die Direktheit der Ansprache und auf die Moderatoren-Haltung des Schauspielers, die viel Witz und Charme ermöglicht. Tuxhorn hat mehrere Spielorte auf der Bühne, das ermöglich Dynamik; das Mikrofon ist der Ort des Gegenübers, seiner Sprache und seiner Argumentation, die klug ist, aber eben einen Pfad nach draußen weist: komplett hinaus aus dem Baukasten der in Jahrhunderten Erkenntnis geschöpften Tatsachen. Und ähnlich wie Verschwörungstheoretiker, die in ihrem Bestätigungsfehler nur noch hinter jedem Gebüsch dasselbe Gespenst sehen. Bis dorthin aber führt die Toleranz nicht. Wer eine ganze Gesellschaft ablehnt oder für töricht hält, muss damit leben müssen, dass diese Gesellschaft ihn ohne weiteres zurückablehnt.

Ums Nachdenken über derlei Positionen geht es in dem Monolog „Bestätigung“, der dazu einlädt, die eigenen Positionen zumindest zu hinterfragen, weil nur so Kommunikation gelingen kann. Das Stück unternimmt dies in Form eines Experiments und nimmt das Publikum darin mit. Das gelingt auch deshalb so gut, weil Sascha Tuxhorn dieses Experiment eminent elegant auf die Bühne bekommt. Ein Türöffner.

Gedankenexperiment

Eine faszinierende und spielerisch brillante Gratwanderung unternimmt Sascha Tuxhorn in seinem „Gespräch“ mit dem Publikum, stets oszillierend zwischen dem linksliberalen Protagonisten, der tatsächlich er selbst sein könnte, und dem ganz anderen, dem Holocaustleugner, dem er sich zu nähern versucht. Beängstigend klar führt er mit den Worten von Chris Thorpe an die Grenzen des Verstehens und der Toleranz. Ein kurzweiliges, intensives Gedankenexperiment.

WAS DARF KUNST?

Das Stück polarisiert. Wirft die Frage nach Grenzüberschreitungen auf. Zwar werden die Aussagen Peters durch den Dialog mit Sascha kritisch beleuchtet, aber trotzdem stehen sie im Raum und reproduzieren eine Form rassistischer und antisemitischer Gewalt. Was darf Kunst? Was geht zu weit?

Ja, der Bestätigungsfehler verstärkt Filterblasen und Echokammern. Aber wo ist die Grenze? Wie sinnvoll ist es, die eigene Toleranz damit aufzubrauchen Menschenverachtung und Hass nachvollziehen zu wollen? Wie viel bringt ein Dialog, wenn kein gemeinsamer Nenner da ist?

Beeindruckend gelingt der Spagat zwischen zwei Figuren, deren politische Sichtweisen unterschiedlicher nicht sein könnten. Mitreißend, provozierend und bewegend rückt „Bestätigung“ eine gesellschaftliche Problemstellung unserer Zeit ins Licht.

IM EIGENEN GEDANKENSTÜBCHEN VOR SICH HINSCHMOREN

Eigentlich wollte man „Bestätigung“ schon vor einem Jahr spielen. Daraus wurde nichts. Aber: Dieser Einakter hat inzwischen kein bisschen Schimmel angesetzt. Weder seit der Uraufführung 2014, noch seit der deutschsprachigen Erstaufführung 2016.

Vielfalt versus Überfremdung, Holocaust versus Auschwitz-Lüge. Das waren damals die Beispiele, an denen sich zeigen ließ, wie betoniert Ansichten sind und jeder nur die seine für richtig hält. Inzwischen geht es mit Wagenknecht und Aiwanger versus Spahn und Robert-Koch-Institut munter weiter, und die Meinungen werden zuhauf durchs Dorf getrieben.

Man weiß bald nicht mehr, was von den beiden Männern via Persönlichkeitsspaltung News oder Fake News sind. Thorpe teilt das Publikum in Leute, die kichern, und solche, denen es wahrscheinlich eiskalt über den Rücken läuft. „Bestätigung“ ist das ideale Stück für den nächsten Lockdown, wo man sich bequem in die Komfortzone der eigenen Ansichten setzen und Ressourcen sparen kann.