„Ein starker Theaterabend. Beeindruckend gespielt. Das Schauspiel am Theater Ulm hat in dieser Spielzeit einen Lauf.“

2014, Inszenierung am Theater Ulm

Text: Wannie de Wijn, übersetzt von Stephan Lack Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Daniel Grünauer Ausstattung: Britta Lammers Fotos: Hermann Posch

Mit: Jörg-Heinrich Benthien (†), Fabian Gröver, Johanna Paschinger, Tini Prüfert, Wilhelm Schlotterer, Maximilian Wigger-Suttner

„Alles verdampft.“

 

Der Entschluss des todkranken Bernhard Keller steht fest: er möchte sein Leben und sein Leiden beenden. Er möchte seinen Abschied nicht in der Anonymität einer Klinik, sondern im Kreis seiner Familie begehen. Und sein letzter Abend soll ein Fest fürs Leben, keine Totenfeier werden. Am Vorabend des Tages X treffen in Bernhards Haus seine geliebte Hannah, seine beiden Brüder und seine Tochter ein. Sein Freund Robert, der Arzt ist, soll die erlösende Spritze am nächsten Morgen verabreichen. Der gute Whisky wird aufgemacht, man plaudert und streitet über alles Mögliche, nur nicht über das, weswegen man hier ist – alle versuchen, das unerbittliche Ticken der Uhr zu übertönen.

Doch der nächste Morgen – und mit ihm der Tod – rückt unaufhaltsam näher.

Wannie de Wijn hat ein Stück über Abschiednehmen und Zurückbleiben, über Trauer und Verzweiflung, über Ermutigung und Verständnis, über Würde, Freiheit und Selbstbestimmung geschrieben – eine emotionale Achterbahnfahrt über Menschen, die „noch so vieles fragen wollten“, über „besondere Gelegenheiten, die nie kommen“ und „Zeit, die auch ohne Uhr vergeht“.

Beeindruckend, bewegend

Antje Thoms inszeniert „Der gute Tod“ – ein starkes Stück über Liebe und Leiden, Nähe und Distanz und die Kostbarkeit der Zeit – am Ende, wenn alles so gekommen ist, wie es kommen soll und muss, ist lautes Schniefen im Publikum zu hören. Und dann noch kräftigerer Applaus. „Der gute Tod“ ist kein ideologischer Diskurs über Sterbehilfe, sondern ein Stück über Leben, Sterben und alles andere. Es zeigt, wie eine Familie in einer unfassbaren Situation um Fassung ringt. Schweigen, Streiten, Schreien, Smalltalken, Singen. Welches Wort ist das richtige? Vielleicht keines. Womöglich jedes. Selbst Reibereien bedeuten Leben. Whiskey und Champagner fließen, Tränen sowieso. Erinnerungsfotos misslingen. Abrocken zu „Born to Be Wild“, ein Totentanz. Und plötzlich sind sich alle – „Yesterday“ singend – ganz nah, wie ein Riesenembryo unter einem Tisch. „Es ist gut“, heißt es mehrfach. Sie würden es so gern glauben. Antje Thoms lässt mit ihrer klaren Regie ohne Schnickschnack keinen Betroffenheits-Kitsch aufkommen, trotz des emotionalen Musikeinsatzes. Die 100 Minuten sind fein rhythmisiert: Mal intensiviert Thoms heftig das Geschehen, steigert Dynamik und Dramatik, mal sorgt sie für intensive Momente der Ruhe, Stille. Sie spart auch nicht mit Humor: wohltuend, ein Ventil. Jede Rolle hat Substanz. Maximilian Wigger-Suttner ist der geschwächte, geschmerzte Bernhard, der Schatten eines Mannes: sich die Seele aus dem Leib hustend, am Boden krümmend, schließlich urmüde im Bett. Doch würdevoll – und ein paar Mal glimmt das Leben in ihm auf. Jörg-Heinrich Benthien hat als autistischer Ruben anrührende Momente, wenn er kindhaft bohrend „warum?“ fragt, wenn er seine Gefühle an der Gitarre ausdrückt. Michael ist aufbrausend, grimmig und hart, aber dank Fabian Grövers Spiel wirkt dies nicht eindimensional: Er macht diese Aggressionen als Selbstschutz kenntlich. Johanna Paschinger zeigt als Tochter Sam das Erschüttertsein eines jungen Menschen, der sein Leben noch vor sich hat und dennoch nicht weiter als bis neun Uhr am nächsten Morgen sehen kann. Tini Prüfert beeindruckt als Hannah: Sie wahrt die Haltung und doch sieht man, wie all das an ihr nagt und zehrt. Schließlich Wilhelm Schlotterer als Arzt Rob: hadernd, mit sich ringend. Er will nur helfen. Einer muss das doch tun. Und gut, wenn es ein solcher Mensch, ein Freund, tut. Ein starker Theaterabend. Beeindruckend gespielt. Und, ja, die Uhr tickt weiter. Das Schauspiel am Theater Ulm hat in dieser Spielzeit einen Lauf.

Wie ein Leben verklingt

„Der gute Tod“ bringt das kontroverse Thema Sterbehilfe einfühlsam auf die Bühne. Großen Anteil daran haben die Darsteller. In Gegenwart des Todes ist nichts mehr, wie es war: Jedes Getränk schmeckt nach Trauer, jeder Popsong klingt wie ein Requiem. In „Der gute Tod“ des niederländischen Autors Wannie de Wijn ist das Ende allgegenwärtig. Das Stück erzählt berührend die Geschichte des letzten Tages eines Mannes, der beschlossen hat zu sterben. Regisseurin Antje Thoms hat „Der gute Tod“ als Schauspieler-Theater angelegt. Schauplatz ist ein helles, fast weißes Wohnzimmer, im dunklen Podium wie ein Übergangsraum zwischen Leben und Tod. Genau in dieser unbestimmten Zone spielt das Drama. Denn das Stück zeigt auch die ganz normalen Konflikte zwischen den Personen – und neben vielen anrührenden auch einige komische Momente. Für die sorgt vor allem der von Fabian Gröver sehr komplex gespielte Geschäftsmann Michael, der den bleiernen Ernst der Situation immer wieder aufbricht. Die anderen Darsteller ebenso überzeugend: vor allem Maximilian Wigger-Suttner, der den todkranken Ben schmerzensvoll und milde gibt und Jörg-Heinrich Benthien als autistischer, in seinem Empfinden immer noch kindlicher Bruder. Das sensible, niemals theatralische Spiel des Ensembles ist die große Stärke dieser Inszenierung, welche existenzielle Fragen stellt – und geschickt fast alle Positionen der Sterbehilfe-Debatte zusammenführt. Hat der Mensch ein Recht darauf, seinen eigenen Tod zu bestimmen? Kann ein Todkranker diese Entscheidung überhaupt noch treffen? Wird der Arzt dadurch zum Mörder? „Der gute Tod“ spart sich offensichtliche Antworten – und lässt den Besucher mit diesen großen Fragen zurück. Ein Stück, das an die Nieren geht.