„Brillante letzte Arbeit als Hausregisseurin.“
2022, Inszenierung in der Tiefgarage des Deutschen Theater Göttingen
Text: Dennis Kelly Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Mona Rieken Ausstattung und Video: Florian Barth Musik: Jan-S. Beyer Fotos: Thomas M. Jauk / Stage-Picture
Mit: Gaby Dey, Florian Eppinger, Paul Häußer, Moritz Kahl, Nélida Martinez, Alma Nossek, Nele Sennekamp, Gabriel von Berlepsch, Paul Wenning, Gerd Zinck
“Denn Menschen, gute Menschen, normale Menschen, Menschen ganz allgemein können nicht tun, was sie getan hatten, können nicht so viel Unrecht tun und einfach damit weiterleben. Sie müssen sich, wenn nötig, die Realität so zurechtbiegen, bis sie zu ihrer Wahrheit passt, und dafür nutzten sie ihre Wut.”
Ein einfacheres Leben. Ein klareres Leben. Ohne die Überforderung durch Wissenschaft und Technik, ohne umweltzerstörenden Fortschritt. Dieser simple Wunsch steht hinter der neuen Bewegung Die Regression. Doch was mit friedlichem Widerstand und symbolischer Zerstörung beginnt, radikalisiert sich bald und wendet sich nicht mehr nur gegen Technik und Wissenschaft, sondern auch gegen die Menschen, die diese weiter nutzen wollen. Universitäten werden ebenso überfallen wie Forschungslabore und Arztpraxen, die Nutzung bislang selbstverständlicher Technologien untersagt.
Über fünf Generationen verfolgt das Publikum den Weg der Menschheit, hin zu einem vermeintlich weniger komplexen Leben, in dem Sprache radikal verständlich, Wissen Qual und Nichtwissen ein Segen ist. Die Tiefgarage des DT Göttingen bietet dabei in ihrer Trostlosigkeit die perfekte Kulisse für Dennis Kellys fesselndes Gedankenexperiment.
Nicht wissen ist (k)ein Segen
Das Deutsche Theater feierte mit Kellys Dystopie eine gelungene Premiere: spannend, düster, eindringlich inszeniert. Der Besucher wird gefordert.
Die Inszenierung von Antje Thoms ist sehr eindringlich, die Nähe zwischen Akteuren und Publikum greifbar. Knapp 50 Besucher sitzen im Kreis um eine Spielfläche. Als Spielort wurde die Tiefgarage umfunktioniert. Eine gute Idee. Sie gibt der Dramatik des Stückes eine passende Umgebung. Schon am Einlass werden die Besucher auf die Gepflogenheiten der Regressionsbewegung eingestimmt: ‘Bitte keine Technik, keine Strahlung, Handys ausschalten.’ Doch damit nicht genug. Wie Seelsorger sprechen die Einlasskräfte jeden Besucher an: ‘Alles klar bei ihnen? Bei uns sind sie sicher.’ Ein Satz, der während der Inszenierung oft fallen wird. Und das sehr eindringlich – durch Kopfhörer, die die Besucher tragen müssen. Über sie fließen nicht nur die Texte der Schauspieler in die Ohren, sondern auch Musik, Geräusche und Botschaften. Bisweilen verfällt man der Täuschung, die Schauspieler stehen direkt hinter einem. Beklemmend real wirkt das – wie eine kleine Gehirnwäsche. Lang anhaltender Schlussapplaus.
Ungewöhnliche Inszenierung
Die Inszenierung ist gut, das Stück hat Schwächen. So lässt sich die letzte Aufführung am Deutschen Theater unter der Regie von Antje Thoms zusammenfassen. Mit „Der Weg zurück“ verabschiedet sie sich nun nach Regensburg.
Am Anfang steht die Überforderung. Daraus wächst der Wunsch nach einem einfachen Leben. Weil es immer mehr Menschen mit diesem Wunsch gibt, ist die Bewegung der Regression, der langsamen Rückwärtsbewegung, entstanden. Was mit Skepsis der modernen Technik gegenüber beginnt, endet mit dem völligen Verfall von Wissen. Am Ende der Technikfeindlichkeit steht eine steinzeitliche Gesellschaft.
Aufführungsort ist die Tiefgararge. Die Stühle sind zweireihig im Rund aufgebaut. Es wirkt wie die nächste Sitzung der Gruppentherapie. In der Mitte brennt ein Lagerfeuer. Es soll wohl das Feuer sein, um das man sich seit Menschengedenken so gern versammelt und dann Geschichten erzählt. Am Eingang hat jeder einen Kopfhörer bekommen. Der beschallt das Publikum mit einer Geräuschkulisse und dem Satz „Du bist in Sicherheit“. Es ist schon klar, dass es sehr intensiv wird.
Um das Feuer stehen drei Gestalten. Gaby Dey, Paul Wenning und Florian Eppinger fungieren als Erzähler, mit ihrer professionellen Lakonie wirken sie wie die Nornen der germanischen Mythologie, direkt der Edda entsprungen. Ganz nüchtern schauen sie mit dem Publikum in eine Zukunft, die wie eine Vergangenheit wirkt. Die Zeitebenen geraten mit Absicht durcheinander und der Stuhlkreis sorgt für das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es ist eine fatale Gemeinschaft. Keiner kommt hier raus.
Es ist vor allem der Wiedererkennungswert. Denn die Propaganda der Bewegung ist gar nicht so weit entfernt von den Verlautbarungen esoterischer Gruppierungen der Gegenwart. Auch die akademischen Debatten über die Risikogesellschaft finden sich wieder. Verschwörung vermischt sich mit Ratio, Analyse mit Befürchtung. Jeder Einzelne wird auf die Einhaltung der Regeln eingeschworen, der Totalitarismus kommt als gute Sache daher.
Antje Thoms gelingt mit ihrer letzten Arbeit am Deutschen Theater ein eindrucksvoller Blick in eine mögliche Zukunft. Dabei kann sie auf ein Ensemble bauen, dass mit seinem abwechslungsreichen Spiel alle Facetten der unheilvollen Entwicklung offenlegt.
Danke für dieses wunderbare Stück. Ich werde die besonderen Aufführungen an ungewöhnlichen Orten sehr vermissen.