„Regisseurin Antje Thoms lässt ihre Figuren im stetigen Wechsel zwischen bitterböse bis allerliebst aufleben und wieder versinken. Die feine Linie der Geschichte zieht sich zwischen Überspanntheit, Absurdität und zauberhafter, wie hinterhältiger Wirklichkeit. Exakt diese Mischung macht dieses philosophische Märchen nebst atemberaubender Schauspielkunst so anziehend."

2009, Uraufführung von Trainingslager

Konzept und Idee: Antje Thoms und Jens Nielsen Text: Jens Nielsen Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Walter Gratz Ausstattung: Marcella Maichle Lichtdesign: Michael Omlin Produktion: Gabi Bernetta Fotos: Carola Hölting Mit: Vivianne Mösli, Manuel Bürgin, Dominique Müller, Ingo Ospelt

Koproduktion mit Theater Winkelwiese Zürich, Tuchlaube Aarau. Empfohlen von Pro Helvetia. Gefördert durch Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Kanton Zürich, Pro Helvetia, Migros Kulturprozent, Artephila Stiftung, Stanley Thomas Johnson Stiftung, Georges & Jenny Bloch Stiftung, Genossenschaft Migros Zürich, Familien Vontobel Stiftung.

„Mein Haus
Jemand hat mein Haus aus mir herausgeschnitten
Und da hingestellt
Jemand ist schuld
Jemand hat gemacht
Dass ich gleich aussehe wie mein Haus“
 

Die Erbsenfrau ist allein. Sie steht am Morgen auf und kämpft den ganzen Tag dagegen an. Dazu hat sie sich ein Labor eingerichtet, in dem sie versucht, ihr Leben nach ihrem Willen einzurichten. Eines Morgens stellt sie fest, sie hat über Nacht mal wieder einen Mann gezüchtet. Er hat ein Namensschild, das ist neu. Doch „Nicht Detlef“ hält nicht lange, er verwelkt noch am gleichen Vormittag und wird auf den Kompost geschafft. Die Erbsenfrau hofft, ihr Experiment wiederholen zu können. Und tatsächlich, bald hat sie drei ganze Männer gezüchtet, die vollkommen scheinen. Sie dienen ihr von nun an als perfekte Staffage für ihre Selbstversuche und sollen alles Fehlende ersetzen. Die Männer stürzen sich voll Tatendrang in jede Herausforderung und versuchen, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Es stellt sich jedoch heraus, dass sie kaum etwas können: sie bringen durcheinander, sie missverstehen, sie machen alles falsch. Die Erbsenfrau ist mit dem Ergebnis nie zufrieden. Verzweiflung verbreitet sich. Streit bricht aus. Die Erbsenfrau spricht maßlose Strafurteile. Die Männer rebellieren. Der Untergang der Erbsenfrau und ihrer Experimente scheint unausweichlich.

Philosophisches Märchen, Sciencefiction und Krimi

Es war einmal eine junge Frau mit dem Stummelnamen Elvira von (das Adelsgeschlecht oder was immer folgte, ist verloren gegangen). Mit einem Brummschädel auf dem Tisch erwacht sie und stöhnt: „Schon wieder so ein Morgen.“ Ein philosophisches Märchen. Ein bisschen wenigstens. Denn ein bisschen ist das Stück auch Sciencefiction. Die einsame Elvira züchtet nämlich in ihrem grün gestrichenen Küchenlabor Männer, die sie dann auf dem Kompost wachsen lässt und bei Bedarf auch entsorgt. Und dieser Bedarf ist nicht selten, denn die Männer taugen nichts. Der eine stammelt wie ein Kleinkind, der zweite ist ein Armleuchter, und der dritte entpuppt sich als Mörder, womit das Stück zeitweilig auch ein bisschen ein Krimi ist. Keuchend jagen sich die Männer um den Küchentisch, kopfüber stürzen sie auf den Komposthaufen, lärmig streiten sie über Senf als Mordwaffe. Vivianne Mösli´s Erbsenfrau kann schneidend scharf sein, aber auch weh und zerbrechlich. Machtfantasien lebt sie aus und Liebessehnsüchte, Märchenfigur ist sie und zugleich moderne Neurotikerin. Das ist ansehnlich, nicht nur ein bisschen.

Persönliches Ungenügen

Auf der Bühne der Winkelwiese vermögen eine brilliante Vivianne Mösli und ihr Männertrio (Manuel Bürgin, Ingo Ospelt, Dominique Müller) eine Dynamik zu erzeugen, die dem Stück in seiner Typik aufs Beste adäquat wird. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen, das Publikum wird mitgerissen und ist ganz offensichtlich amüsiert. Jene Verwischung unterstreicht die Brisanz des Sujets: Jens Nielsen greift in der „Erbsenfrau“ das Thema persönlichen Ungenügens auf, gekoppelt mit dem Versuch, das Defizit durch die Instrumentalisierung des Gegenübers auszugleichen und dies ausgerechnet im Spannungsfeld von Mann und Frau.

Höhepunkt der Saison

Jens Nielsens oft verwendete Satzfragmente macht man als Publikum ganz automatisch selbst zu Ende und die seinem Text innewohnende Absurdität ergänzt Antje Thoms zum wiederholten Male mit ihrer Regiesprache und einem Dreamteam auf der Bühne zu einem vollständigen Ganzen. Dabei ist „Die Erbsenfrau“ kein eigentliches Geschlechterstück, bei dem Sieg und Niederlage der einen oder anderen Gattung im Vordergrund stehen. Vielmehr dreht Jens Nielsen den ganz normalen Wahnsinn mit einem immensen Vorrat an Fantasie ein, zwei Windungen weiter hoch und bietet Antje Thoms einen Steilpass, mit der Regie die eigentliche Posse komplett zu überdrehen. Der Humor im Stück pendelt zwischen Aberwitz, Intelligenzbestie und totalem Schwachsinn. Definitiv ein Höhepunkt der laufenden Saison.

Grund zur Hoffnung

In wechselnden Konstellationen spielen die drei Mann-Produkte in den diversen Tests unter anderem eine WG, eine Familie, einen Frauen-Lesekreis, Arzt, Patient und Krankenschwester in einem Sanatorium oder auch die drei Könige zu Besuch bei Maria. Die Dreierformation evoziert dabei immer wieder einmal die Struktur eines Märchens, etwa wenn ein Mann nach dem anderen um die Liebe der Frau buhlt – allerdings alle vergeblich. Regisseurin Antje Thoms inszeniert die zunehmend absurderen Rollenspiele als einmal heiteres, dann wieder düstereres Spiel. Da wird getanzt, geklettert, geschlagen – und zwischendurch ein wunderbar ironisches Ständchen gesungen: „I wanna be your man …“ Doch die Erbsenfrau lässt sich von solch trügerisch lockenden Tönen nicht mehr beeindrucken, zu oft hat ihr Befehl „Los, eignet euch!“ im Fiasko geendet. Und so ist es eigentlich ein Grund zur Hoffnung, dass die Kreaturen am Ende doch noch aufbegehren und sich gegen ihre Schöpferin verschwören.

Ein Spiel der komisch-absurden Art

In seiner Groteske „Die Erbsenfrau“ lässt Jens Nielsen gezüchtete Männer aus dem Kompost auferstehen. Elvira von’s zerzauster Kopf liegt auf dem Labortisch und schnarcht, dass die Wände wackeln. Dann erwacht sie, missmutig, verzweifelt über die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene Einsamkeit. Doch im Hintergrund regt sich was, taucht aus den Blättern auf. Nicht Detlef heißt die Kreatur, die eigentlich Bernardo heißen möchte. Tadellos sein Anzug mit Krawatte, stammelnd seine Sprache, strahlend sein Gesicht. Schon nach zehn Minuten stirbt er. „Ein Mann sollte länger leben“, findet Elvira von und kreiert „zack zack Biomechanik“ ein Trio. Der Rest der sprung- und episodenhaften Geschichte zu viert dreht sich um Liebe, Eifersucht, Macht, Leben und Tod. Höhepunkte sind ein „historischer Mord mit Senf“, der Aufstand der Männer gegen ihre Erzeugerin und ein verpatzter Dreikönigstag.

Frankenstein-Thematik

Jens Nielsen verhandelt die durch die moderne Gentechnologie hochaktuell gewordene Frankenstein-Thematik in einer vergangen anmutenden Welt. Seiner Protagonistin und ihrer Sprache haftet etwas Urtümliches an. Dies unterstreicht Regisseurin Antje Thoms in der Uraufführung des Theaterkollektivs Trainingslager, indem sie die Erbsenfrau in ein altmodisches, operationssaalgrünes Labor mit Einmachgläsern und Holztisch setzt. Dynamisch inszeniert sie die verschiedenen Szenen, die Elvira von mit ihren selbst gemachten Männern spielt. Wie die Kinder gemäss Sigmund Freud eignen sich ihre männlichen Artefakte die Welt nämlich übers Spiel an: Sie spielen Familie, Sanatorium, Mord und Beerdigung, Maria und die Drei Könige. In der Titelrolle glänzt Vivianne Mösli mit sensiblem Spiel, zeigt ein ergreifendes Psychoporträt der scheiternden Übermutter, der zutiefst Einsamen, die sich nach Leben und Gemeinschaft sehnt. Eigenwillig bringt sie Nielsens kraftvoll poetische Sprache zum Blühen.

Theaterleckerbissen

Die Theatertage Lenzburg setzten dem Publikum mit „Die Erbsenfrau“ einen Leckerbissen vor, der nahezu im Hals stecken blieb. Regisseurin Antje Thoms lässt ihre Figuren im stetigen Wechsel zwischen bitterböse bis allerliebst aufleben und wieder versinken. Der Spagat, den Kampf um die Geschlechterrollen nicht ins Lächerliche gleiten zu lassen, ist sehr gut gelungen. Die feine Linie der Geschichte zieht sich zwischen Überspanntheit, Absurdität und zauberhafter, wie hinterhältiger Wirklichkeit. Exakt diese Mischung aus der Feder von Jens Nielsen macht dieses philosophische Märchen nebst atemberaubender Schauspielkunst anziehend.