„Ein sehenswerter giftiger Jux. Verschroben, verstiegen, verknotet, verkalauert: Wie immer bei der Sprachartistin Jelinek ist auch hier die Sprache der Held. Das eröffnet ungeheure Freiheit, die Regisseurin Antje Thoms und Ausstatter Florian Barth frohgemut ausreizen. Der Abend feuert versteckte Pfeile ab: Häme und Hohn landen bei uns."
2009, Inszenierung am Saarländischen Staatstheater / Sparte4
Text: Elfriede Jelinek Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Holger Schröder Ausstattung: Florian Barth Fotos: Andrea Seifert / Stage Picture
Mit: Marcel Bausch, Gertrud Kohl, Gabriela Krestan, Dorothea Lata, sowie Hannah Saar & Joachim Meier
„Das soll ein Opfer sein? Dafür haben Sie das alles dorthin gelegt? Für Sicherheiten, die es nicht gibt? Absurd!“
„Die Kontrakte des Kaufmanns“ verhandelt im bitterbösen, sarkastischen Stil der Sprachartistin Jelinek die unkontrollierten Versprechen der Fondsmanager und Banker und die hemmungslose Gier der Kunden, die im Zusammenwirken zur aktuellen Finanzkrise geführt haben. Ausgehend von Skandalen in Österreich rechnet Jelinek höhnisch mit den Verbrechen der Wirtschaft, der Korruption der Manager, der entfesselten Gemeinheit und der Rendite-Gier der Kleinanleger ab. Jelineks Stück ist nicht nur eine knallharte Analyse der Weltwirtschaftskrise und eine schonungslose Abrechnung mit dem Irrationalismus des Finanzkapitalismus, sondern ebenso ein grotesker Totentanz über den Ausverkauf des Kapitalismus.
Sehenswerter giftiger Jux
„Die Kontrakte des Kaufmanns“ sind eine typisch bitterböse Elfriede-Jelinek-Läster-Arie über korrupte Banker und gierige Kleinaktionäre. Am Sonntag wurde in der Sparte4 daraus ein sehenswerter giftiger Jux. Verschroben, verstiegen, verknotet, verkalauert: Wie immer bei der Sprachartistin Jelinek ist auch hier die Sprache der Held. Deren assoziatives Wogen schwemmt einmal mehr alle Theaterverlässlichkeiten weg: Anfang, Ende, Rolle, Handlung. Das eröffnet ungeheure Freiheit, die Regisseurin Antje Thoms und Ausstatter Florian Barth frohgemut ausreizen. Die Sparte4 verwandelt sich zwei Stunden lang in einen unbekümmert bespielten Probierplatz. Thoms setzt ihren vier Darstellern absurd wackelnde Richter-Perücken auf, behängt sie mit Hermelin und Bischofsstab wie am mittelalterlichen Kaiserhof, hüllt sie in Hausfrauenschürzen oder Wüstengewänder. Karnevalssitzung, Mannesmann-Prozess, Kleinaktionärs-Versammlung, der „antike“ Monolog eines Familienmörders – die Regie unternimmt gar nicht erst den Versuch, all diese Fragmente zum Ganzen zu zwingen. Statt dessen obwaltet vergnügte Unausgegorenheit, und das wirkt irgendwie charmant. Insbesondere deshalb, weil jeder Darsteller seinen ureigenen Komik-Ton ausleben kann. Gertrud Kohl gibt ein köstliches Jammer-Äffchen, Gabriela Krestan sabbert als debiler Vorstandsbanker „Fairnesspakete“ an den Kunden, Marcel Bausch – er ist eine Freude – bleckt hinter wohlanständiger Buchhalterbeflissenheit die Wolfszähne. Und Dorothea Lata schüttelt als Engel der Gerechtigkeit ihre Oberweite, als wolle sie in einer Striptease-Show Karriere machen. Kein Einfall ist zu abwegig oder kindisch, um das Rad des Jelinekschen Irrwitzes am Laufen zu halten. Dadurch nimmt Thoms den „Kontrakten“ ihre angestrengte Bedeutsamkeit. Der Abend feuert versteckte Pfeile ab: Häme und Hohn landen bei uns.
Kapitalismuskritik zum Lachen?
Ja, das schafft das Stück, wenn Phrasen der Bankmanager gekonnt vom umwerfend spielenden Ensemble inszeniert werden. Doch dabei belässt es der Abend nicht. Zwischen wohl gesetzten Sarkasmus und unterhaltsamen Abgesang schieben sich mahnende Worte. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt!
Eine Bank ist eine Bank ist eine Bank
Auf der Bühne steht eine Bank, auf der steht: „Bank“. Das ist zwar ein Kalauer, aber einer, der sich selber auf die Schippe nimmt. Eine Bank ist eine Bank ist eine Bank. Gegen Ende soll die „Bank“ mit einer Axt zertrümmert werden, aber die Axt ist keine Axt, sondern ein Kleiderbügel. Eine Axt ist ein Kleiderbügel ist ein …? Die Regisseurin Antje Thoms hat dem Saarbrücker Publikum mit Kaspar Häuser Meer von Felicia Zeller gezeigt, dass sie derlei Textflächen sinnvoll aufbereiten kann. Während die Uraufführung in Köln vier Stunden dauerte, ist das Ziel in Saarbrücken schon nach zwei erreicht. Keiner, der hier Zeuge war, wird den Jargon der Wirtschaft je wieder ernst nehmen können. Da, kurz vor dem Ende, hebt Marcel Bausch noch zum Monolog eines Mannes an, der aus Verzweiflung seine Familie ausgerottet hat. Hier war die Axt offenbar kein Kleiderbügel, sondern eine Axt. Wirklich ergreifend, wie Bausch dies spielt, trotz Wortspielen völlig ernsthaft, ohne Doppelbödigkeit.