„Thoms hat in ihrer Inszenierung vor allem das Innenleben ihrer Figuren im Blick, wie sie an den Gitterstäben ihrer scheinbar beengten Lebensentwürfe rütteln, aber nie den Mut aufbringen würden, jetzt aus den Verhältnissen auszubrechen. Thoms zoomt diese Spannungsverhältnisse mit ihrem Schauspielteam ganz nah heran, so dass auch die Verzweiflung spürbar wird, die hinter all den charmanten, boshaften und beschwichtigenden Plaudereien lauert.“
2017, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen
Text: Ivan Turgenev, übersetzt von Peter Urban Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Matthias Heid Bühne: Beni Küng Kostüme: Katharina Meintke Fotos: Isabel Winarsch
Mit: Gaby Dey, Florian Donath, Florian Eppinger, Angelika Fornell, Michael Frei, Lutz Gebhardt, Andreas Jessing, Christina Jung, Rebecca Klingenberg, Valentin Kühn, Felicitas Madl, Paul Wenning
„Die fremde Seele ist ein dunkler Wald.“
Sommerzeit ist Ferienzeit. Zeit der Entschleunigung und des Müßiggangs. Die Bewohner des Landgutes lassen die Seele baumeln und die Gedanken treiben. Alles dreht sich um kluge Gespräche, inspirierende Freundschaften und exquisite Getränke. Nichts scheint zu fehlen, träge lebt man dahin und zerredet sich selbst und die eigenen Existenzen. Das ändert sich, als der Student Alexej als Lehrer für den zehnjährigen Sohn engagiert wird und sofort das Interesse der Bewohner auf sich zieht. Kolja ist begeistert von Alexej, Natascha, seine Mutter, verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Mann, obwohl sie bereits ein Verhältnis mit Rakitin, dem langjährigen Freund des Hauses, hat. Und Vera, ihre siebzehnjährige Pflegetochter, sucht in intuitiver Zuneigung Alexejs Nähe. Plötzlich flirren Sehnsüchte, Wünsche und Begierden durch die Luft, plötzlich vibriert das Landleben in einem mal rauschenden, mal ernüchternden Überschwang der Gefühle. Jeder liebt irgendwen, der das Gefühl nicht erwidern kann, weil er einen anderen liebt, dem wiederum das Gefühl ebenfalls gleichgültig ist.
Charmante, boshafte und beschwichtigende Plaudereien
Fast schleichend verwandelt sich dieses ländliche laissez-faire Panoptikum in ein Schauspiel der Vermeidungsstrategien. Hier gibt niemand seine Gefühle so ohne weiteres preis, schon gar nicht wenn das Arrangement aus Konventionen und Bequemlichkeiten dadurch gefährdet wird. Doch die Sehnsüchte und die Enttäuschungen geben einfach keine Ruhe, wie sie sich nun in den Gesichtern spiegeln, den scheinbar spontanen Gesten und in der Sprache der Körper. Antje Thoms hat in ihrer Inszenierung vor allem das Innenleben ihrer Figuren im Blick, wie sie an den Gitterstäben ihrer scheinbar beengten Lebensentwürfe rütteln, aber nie den Mut aufbringen würden, jetzt aus den Verhältnissen auszubrechen. Thoms zoomt diese Spannungsverhältnisse mit ihrem Schauspielteam ganz nah heran, so dass auch die Verzweiflung spürbar wird, die hinter all den charmanten, boshaften und beschwichtigenden Plaudereien lauert. Dass es zum wahnsinnig werden ist mit diesem Leben, dass allen Komfort bietet, wenn das Herz nicht mehr spontan klopft, sondern nur noch dröge pulsiert. Turgenevs ländliche Gesellschaft jammert auf hohem Niveau. Das macht sie vielleicht nicht sonderlich attraktiv für einen Theaterabend. Aber es sind eben nicht nur satte saturierte Menschen, die hier an ihrer Langeweile und ihrem Überdruss laborieren und nach jeder sich bietenden Abwechslung greifen, sondern auch Zeitgenossen, die sich in ihrer Wohlstandsenklave verspekuliert haben und in dieser sensiblen Nahaufnahme nachdenklich stimmen.
Selbstbezogen und aneinander vorbei
Das Ferienhaus hat Augen, aber keine Ohren: Hinter den Vorhängen zeichnen sich die Umrisse von Personen ab. Doch die stillen Beobachter scheinen nicht zu hören, worüber draußen gesprochen wird. Das Bühnenbild unterstreicht nicht nur die Ferienidylle. Bei jeder Umdrehung des Ferienhauses finden sich neue Utensilien auf der Veranda. Neben Grill und Blumenerde tauchen aufblasbare Elefanten und ein gelber Wal auf. Es sind immer nur kleine Veränderungen, doch sie deuten an, dass es in diesem Stück auf die Details ankommt. Nebenbei diskutiert man über Gehen oder Bleiben, während man in Wirklichkeit so vor sich hin dümpelt wie die Gurken in der Wasserkaraffe, aus der man trinkt. Am Ende überzeugt das Ensemble des Deutschen Theaters mit seiner Darstellung. Ein unterhaltsamer Abend.
Perfekt inszenierte Langeweile
Während sich die Zuschauer noch ihre Plätze suchen, dreht sich auf der Bühne schon gemächlich das Haus. Die Großmutter sitzt im Rollstuhl davor und dreht sich im ereignislosen Tagesablauf mit. Im Hintergrund, kaum wahrnehmbar, leise Gitarrenklänge; die perfekt inszenierte Langeweile. Nach der Pause nimmt die Inszenierung mit emotionsgeladenen Auseinandersetzungen Fahrt auf. Aleksej und Rakitin verlassen das Haus, Vera willigt verzweifelt in die Heirat mit Bolsincov ein. Arkadij sieht seine Welt bedroht, steckt den Kopf in den Sand und sagt Schwamm drüber. Am Schluss bleiben im ganzen Wirrwarr nur Verlierer übrig – und eine große Leere. Verdienten, lang anhaltenden Applaus gab es für die großartige Leistung der Schauspieler.