„Das entfaltet eine Gewalt und eine Wucht, die alles Gerede von Feminismus und Frauenrechten als harmlose Schaumschlägerei erscheinen lässt.“
2011, Inszenierung am Stadttheater Bern
Text: Henrik Ibsen, übersetzt von Heiner Gimmler Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Matthias Heid Bühne: Steffi Wurster Kostüme: Katharina Meintke Fotos: Annette Boutellier
Mit: Dagny Gioulami, Sabine Martin, Milva Stark, Lukas Turtur / Andri Schenardi, Diego Valsecchi, Stefano Wenk
„Mut, ja. Wenn man den hätte. Dann könnte man vielleicht leben, trotz allem.“
Ein angesehener Ehemann, eine Villa und ein finanziell sorgloses Leben – so hat sich Generalstochter Hedda Gabler ihre Zukunft als verheiratete Frau vorgestellt. Dafür ließ sie ihre große Jugendliebe Lövborg abblitzen und heiratete den soliden Kulturhistoriker Jörgen Tesman, baldiger Professor mit guten Aussichten auf gesellschaftlichen Erfolg. Endlich aus den todlangweiligen Flitterwochen zurückgekehrt, erfährt Hedda, dass Lövborg in der Zwischenzeit sein Lotterleben an den Nagel gehängt und ein Aufsehen erregendes Werk geschrieben hat. Damit sind plötzlich auch die Berufung ihres Mannes zum Professor und ihre eigene ökonomische Absicherung unsicher geworden. Hedda zerrinnt ihr Lebensplan zwischen den Fingern. Gegen ihre Neigung hat sie sich für ein Leben nach bürgerlichen Prinzipien entschieden, und als diese Prinzipien nicht halten, was sie versprechen, beginnt sie, sich und ihre Umwelt zu hassen: Sie demütigt hemmungslos ihren Ehemann, betrügt ihn mit dem Hausfreund Brack, hintertreibt aus Eifersucht eine zarte Liebesgeschichte Lövborgs und verbrennt schließlich sogar die einzige Abschrift seines zukunftsweisendes Werks; treibt ihn zuerst zurück in die Sucht und schließlich in einen Selbstmord „in Schönheit“. Wütend und erbarmungslos attackiert Hedda die erdrückende Gutartigkeit, hinter der sie selbst und ihre Mitmenschen Mittelmaß, Feigheit und Angst verbergen. Doch sie kann ihr selbstgebautes Gefängnis nicht sprengen, ohne sich selbst zu zerstören.
„So etwas tut man doch nicht“, heißt es am Schluss: der lapidare Kommentar einer Gesellschaft, die Aufstiegsdenken und Abstiegsangst als Lebensprinzipien verinnerlicht hat und nun – im Angesicht Heddas Todes – einen Augenblick innehält, um dann unbeeindruckt weiterzuleben.
Tödliche Überlegenheit
Antje Thoms inszeniert Ibsens „Hedda Gabler“ als gnadenlose Rache eines männermordenden Vamps. Drei Farben bestimmen die Inszenierung in Steffi Wursters Bühnenbild: das giftige Grün des überdimensionalen Sofas, auf dem Hedda Gabler thront und von dem sie immer wieder die spießigen Kissen runterfegt; das grell-monochrome, eher an einen Operationssaal denn an einen Wohnraum erinnernde Weiß des protzigen Salons, der die ganze Bühne einnimmt und das Rot des Blutes, das erst in den letzten zehn Sekunden der Aufführung als brutales Zeugnis von Heddas Selbstmord an der Rückwand aufleuchtet und das dennoch die ganze Zeit über irgendwie präsent ist. Milva Stark ist als Hedda nicht einen Augenblick die bürgerlich Angepasste, sie ist von Anfang an der Vamp, der Blut geleckt hat und die Männer mit zynischem Behagen im Netz zappeln lässt. Und wenn sie sich mit den Männern nochmals einlässt, dann nur, um sie mit sich in den Untergang zu reißen. Die Verachtung für Tesman ist ihr ins Gesicht geschrieben. Lövborg treibt sie gnadenlos in den Selbstmord, obwohl sie bei der Verabschiedung des Todgeweihten ungewollt verrät, dass sie ihn immer noch liebt. Die Beziehung zum locker-smarten Richter Brack aber ist hinter dem lasziv-erotischen Freundschaftsgetändel von Anfang an ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel mit einem, der sie durchschaut hat. Das zynische Intrigenspiel der morbid-todeslüsternen, in ihrem aggressiven Sexappeal aber ungemein verführerischen Generalstochter läuft zur großen Form auf, weil ihr Opfer und Gegenspieler in nichts nachstehen. So wird Diego Valsecchi als jungenhaft-naiver Jörgen Tesman nicht eine Sekunde an seiner verfehlten Strategie irre, die widerspenstige Geliebte mit historischen Recherchen statt mit seiner physischen Präsenz zu beeindrucken. Lukas Turtur vermittelt der Verfallenheit Eilert Lövborgs an die unerreichbare Geliebte jenseits aller Larmoyanz etwas berührend Tragisches, während der großartige Stefano Wenk als Heddas Hausfreund Brack die kumpelhaft-spaßige Kameraderie mit der schönen Frau um eine abgründig-diabolische, das Tödliche durchaus einberechnende Dimension zu erweitern vermag. Sabine Martin als Juliane Tesman und Dagny Gioulami als Thea scheinen in erster Linie andere, versöhnlichere weibliche Lebensmuster evozieren zu wollen, die Heddas Verhalten um so exzentrischer scheinen lassen. So ist Tante Juliane ganz entsagungsvoll-hingebende Hausmutter und Samariterin, während Thea, die aus Liebe zu Lövborg den Gatten verlassen hat, sich des haltlosen Manns auf bescheiden-selbstlose Weise annimmt und wunderbar arglos die opferwillige Geliebte spielt. Schön, wie Katharina Meintke das Wesen der drei Frauen bereits in ihren Kostümen zum Ausdruck bringt. Hedda Gabler wird in Antje Thoms Inszenierung keinerlei Entwicklung zugestanden. Aber der Mechanismus des tödlichen Intrigenspiels entfaltet vor den Augen und Ohren des Publikums in allmählich sich steigernder Spannung eine starke, unwiderstehliche Wirkung. Wie diese erotisch attraktive, wunderschöne, aber zynisch-mitleidlose Frau wie in einem archaischen Balztanz in ihrem grell-weißen Laboratorium herumstöckelt, bis sich ihre weibliche Unterlegenheit in eine tödliche Überlegenheit über den Mann verwandelt hat und sie sich selbst aus dem Spiel nimmt: Das entfaltet eine Gewalt und eine Wucht, die alles Gerede von Feminismus und Frauenrechten als harmlose Schaumschlägerei erscheinen lässt.
Amoklauf im Reich der neuen Bürgerlichkeit
Ibsen ist wieder gefragt im Zeichen neuer Bürgerlichkeit, in Zeiten der prekären Wohlstandsgesellschaft. Regisseurin Antje Thoms verpflanzt Ibsens Klassiker „Hedda Gabler“ überzeugend ins heutige Ambiente einer trendigen Designwelt, die weniger von Wohnlichkeit zeugt als von den Ambitionen eines Kulturwissenschaftlers, der mit Liebling „Hedda“ das große Los gezogen zu haben glaubt. Alle – bis auf Tante Tesman, die als mütterliche Nervensäge gezeigt wird, deren Gutmütigkeit fast schon weh tut – erscheinen als mehr oder weniger versierte Alltagsperformer, allen voran Richter Brack, der als personifizierter Stratege und kühler Zyniker durch das Stück geistert. Tesman wiederum, der frischgebackene Ehemann, ist ein neurotisch gut gelaunter Streber, Ordner und Sammler, der Hedda als Trophäe behandelt und sich selbst durch die boshaftesten Einwürfe seiner Gattin nicht aus dem Lebenskonzept bringen lässt. Dazu braucht es schon mehr – zum Beispiel die Nachricht, dass seine sicher geglaubte Professur in Gefahr gerät. Prägnant gestaltet Milva Stark die Titelfigur als attraktive, konsequent unbefriedigte Generalstochter, die ihrem Weltekel Luft verschafft – sei es auf Kosten von Tesmans Hauspantoffeln, sei es auf Kosten zweier Leben. Wie ein eisgekühlter Vamp sitzt sie auf dem Sofa, überkontrolliert und überspannt und wo sich die anderen eingerichtet haben, sieht sie nur Schein, Hässlichkeit, Hohlheit und Sinnlosigkeit. Regisseurin Antje Thoms verzichtet darauf, die kunstvolle Mechanik des Klassikers zu durchbrechen, handwerklich sehr präzis gemacht bringt ihre Inszenierung stimmige Figuren auf die Bühne und trägt das Stück zwanglos ins Heute, als Amoklauf im Reich der neuen Bürgerlichkeit.