"Ein erhellender, kluger und auch witziger Abend über eine Beziehung, die gar nicht zum Lachen ist. Mit einem Ensemble in Hochform, dass hier seine ganze Klasse beweist."

2025, Inszenierung am Theater Regensburg

Text: nach den Drehbüchern von Jurek Becker Regie und Fassung: Antje Thoms Dramaturgie: Maxi Ratzkowski Ausstattung und Video: Florian Barth Musik: Jan-S. Beyer Fotos: Sylvain Guillot

Mit: Kathrin Berg, Joscha Eißen, Michael Haake, Gerhard Hermann, Thomas Mehlhorn, Anna Paula Muth, Jonas Julian Niemann, Clemens Maria Riegler, Lilly-Marie Vogler, Guido Wachter, Paul Wiesmann

“Das ist das Unglück deiner Generation: So wie es ist, gefällt es euch nicht, aber bloß keinen Finger rühren, damit sich was ändert.”

Fernsehen bringt die Menschen näher zusammen, deshalb beschließen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine Serie über die Wiedervereinigung zu produzieren. Eine typisch ostdeutsche Familie soll gezeigt werden, mit all ihren Freuden und Sorgen. Schriftsteller Anton Steinheim wird als Autor verpflichtet. Dumm nur, dass er noch nie Kontakt zu Menschen in den neuen Bundesländern hatte. Eine typische Ostfamilie als Studienobjekt muss also her und mit den Grimms landet man einen Volltreffer. Die Familie rund um den arbeitslosen Dispatcher Benno und seine als Lehrerin arbeitende Frau Trude braucht zudem das Geld. Denn immerhin wohnt ja auch noch Trudes Vater mit in der kleinen Wohnung und auch Sohn Theo, der gerade sein Philosophiestudium abgebrochen hat, schaut wieder häufiger vorbei. Geld fließt aber nur, wenn die Grimms dem Autor stetig Material liefern. Und was macht man, wenn man aus seinem normalen bis langweiligen Alltag nichts zu erzählen hat? Man erfindet einfach eine DDR-Realität, die alle Klischees eines Westdeutschen zu bedienen weiß …

1994 schreibt Jurek Becker mit WIR SIND AUCH NUR EIN VOLK die Fernsehserie zur Wiedervereinigung, welche noch im gleichen Jahr verfilmt wird. Mit scharfsinnigem Humor schaut der Autor dabei auf die Ost-West-Entfremdung und entwirft das Bild einer Zeit des deutsch-deutschen Kennenlernens, die noch immer anzudauern scheint und deren Konfliktlinien sich in den letzten Jahren noch verschärft haben.

Wer macht sich hier zum Affen?

Antje Thoms bringt „Wir sind auch nur ein Volk“ in eigener Fassung auf die Bühne: Ein erhellender, kluger und auch witziger Abend über eine Beziehung, die gar nicht zum Lachen ist. Sie dampfte 8 Stunden Film auf einen dreistündigen Abend ein, der glücklicherweise viele Szenen rettet, tolle Einfälle mitbringt und wie im Flug vergeht. Und wie raffiniert die beschränkten Mittel der Bühne genutzt sind! An der Rampe spielt sich der Westen ab, mit angeberischen TV-Leuten und windigen Geschäftemachern. Hinter dem Goldvorhang tut sich die piefige Grimm-Wohnung auf, mit Sofas, die aussehen, als röche man ihr Müffeln noch in der letzten Reihe. Oben laufen originale DDR-Clips und Live-Videos. Die erweisen sich als Riesen-Gewinn. Im Zoom zeigen sich kleinste Regungen in den Gesichtern eines Ensembles in Hochform, dass hier seine ganze Klasse beweist. Unterm Strich nimmt man staunend zur Kenntnis, dass der selbstgerechte Westen im Grunde verlogener ist als der Osten; ihm fehlt selbst das Rückgrat, das er gern von andern verlangt. Denn im Westen änderte sich 1990 kaum etwas – aber im Osten fast alles.