„In eineinhalb Stunden verwandelt das Stück die Sparte4 in einen immer beklemmenderen, klaustrophobischen Raum.“
2012, Inszenierung am Saarländischen Staatstheater
„In eineinhalb Stunden verwandelt das Stück die Sparte4 in einen immer beklemmenderen, klaustrophobischen Raum.“
Text: Kathrin Röggla Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Nicola Käppeler Ausstattung: Florian Barth Fotos: Thomas M. Jauk / Stage-Picture und Marco Kany
Mit: Marcel Bausch, Gertrud Kohl, Gabriela Krestan, Klaus Meininger, Merlin Sandmeyer / Georg Mitterstieler
„sagt jetzt nicht, ihr denkt nicht an die stromleitung, sagt nicht, ihr seht nicht, was gleich passieren wird. behauptet nicht, es wäre ja noch nicht viel zu sehen.“
Nicht die Katastrophen selbst und deren direktes Erleben und Erleiden, sondern die medialen und politischen Katastrophenerzählungen, das unaufhörliche Gerede in Nachrichten und Talk-Shows, die sich dem Bewältigen oder Beschwören realer Katastrophen widmen, sind Kathrin Rögglas Material. WORST CASE handelt nicht von einstürzenden Häusern, entgleisenden Zügen, Killerviren, Terroranschlägen, Schlammlawinen und Tsunamis – sondern unserer entsetzlichen Angst davor, die durch die Dauerpräsenz von Horrorbildern und -nachrichten geschürt und ins Unermessliche gesteigert zu einem gesellschaftlichen Zustand wird, in dem jeden Moment etwas Schreckliches geschehen könnte. Das Spektakuläre ist „in die ritzen aller erzählungen eingedrungen“ und versetzt die auftretenden Personen in WORST CASE in allerhöchste Alarmbereitschaft, in ein Szenario von lähmender Panik und monströser Paranoia, welches jede reale Existenz unmöglich macht und eine Gesellschaft im Zustand der freiwilligen Sicherheitsverwahrung zeigt.
Ständige Angst
Antje Thoms inszeniert Kathrin Rögglas absurdes Stück, das von keinen konkreten Katastrophen, doch aber von deren ständiger unterschwelliger Wahrnehmung durch Medien, Filme etc. handelt. Fast in den Wahnsinn getrieben durch eine ständige Angst scheinen die vier Hauptdarsteller. Sie liefern eine hervorragende, unterhaltsame Leistung ab. Zwar wird vom Zuschauer teils höchste Aufmerksamkeit gefordert, um den Konjunktivkonstruktionen zu folgen – doch das sorgt für Kurzweile. Schwere, aber dennoch gute Kost!
Die Katastrophe kommt im Konjunktiv
Die Salzburgerin Kathrin Röggla lässt die Figuren ihres Stücks „worst case“, diese verschreckten Opfer der Apokalypse (die vielleicht aber noch nicht eingetreten ist oder das eventuell nie tun wird) im Konjunktiv sprechen, in indirekter Rede und in der dritten Person, wenn es um sie selbst geht. Ein merkwürdiger Sprachklang schwingt durch dieses Stück mit Menschen in Aufruhr: Da ist ein Mann, der die Menschen beobachtet wie sie Hamsterkäufe beginnen. Der andere Mann beobachtet weniger, als dass er analysiert, die Dinge durchdenkt, plant – das, was man wohl einen „Macher“ nennt. Eine Frau prophezeit atemlos Schlimmes in ihr Headset, oft gleichzeitig mit einer Mutter, die ihr Kind zunehmend hysterisch gegen Anwürfe verteidigt, etwas Schlimmes verursacht zu haben. Die Welt liegt im Argen, aber so ganz scheinen die Menschen das nicht zu erfassen – der Konjunktiv wirkt als Barriere, alles bleibt ein ewiges „könnte sein“. Ist der Mensch von allerlei fiktiven Katastrophenszenarien so abgestumpft, dass er die reale nicht gänzlich wahrnimmt? Oder ist diese Barriere ängstlich selbstgewählt, wie ein Pfeifen im Wald? „worst case“ schildert in der Inszenierung von Antje Thoms eine langsame Auflösung, den immer schwächeren Halt an einer Ordnung und einer Gewissheit. Überraschenderweise ist dieser Kollaps, die mögliche Rache der Natur, „wenn auch ohne Tierbeteiligung“, wie es heißt, vor allem in der ersten Hälfte der anderthalbstündigen Inszenierung sehr witzig. Die gedrechselte Sprache klingt etwas pompös nach mittelalterlichem Hofe und bietet komische Verbalkapriolen für die am Ende lange beklatschten Darsteller: Die agieren viel in Richtung Publikum, bewegen sich durch den ganzen Raum, beziehen realen Saarbrücker Sirenenklang in ihr Spiel mit ein und lassen sich von der Apokalypse den spielerischen Spaß nicht nehmen. Im letzten Drittel der Inszenierung führt die Reise unwiederbringlich in Richtung Dunkelheit. Ein junger Mann erscheint, klagt einem ausgestopften Fuchs sein Leid und liegt bald danieder. Er bleibt nicht der einzige. Die Abschiede fallen, je nach Naturell der Figur, alpharüdenhaft pompös aus, leise röchelnd, hektisch kollabierend oder schlicht still weinend. Zuvor blitzt ein kurzer Moment möglicher Erkenntnis auf, man registriert ihn voller Dankbarkeit: ein klarer Indikativ im konjunktiven Bedeutungsnebel – „am Ende ist man nur getestet worden“. Oder eben doch nicht. Der Mensch, so scheint es, hat keinen unmittelbaren Blick mehr auf sein Leben. Sind die Medien schuld? Die Überflutung mit realen Katastrophenbildern, an die man sich längst gewöhnt hat? Darum geht es hier. Nur: Ist ein Theaterstück über diese Fragen nicht auch ein Filter, ein weiteres distanzierendes Medium? „worst case“ lädt zur Diskussion ein.
Oratorium der Panik
Wir lieben die Katastrophe. Solange sie schön weit weg stattfindet und uns auf dem Sofa vor dem Fernsehen ansonsten in Ruhe lässt. Das ist eine Theorie zur Wirkung von Medien, aber stimmt das denn? Lassen uns all diese Katastrophennachrichten, Schreckensbilder und Horrorfilme wirklich in Ruhe? Was machen sie mit uns und unserer Art, wie wir die Welt wahrnehmen? Erdbeben, Klimawandel, Tsunami, Killerviren, Super-GAU. Die Welt ist eine einzige Katastrophe und das Leben auch. Ist da wieder irgendwo etwas passiert? Der Fernsehzuschauer ist live dabei. Irgendwo da draußen herrscht das blanke Entsetzen, zuhause macht man es sich in der Endzeitstimmung gemütlich. Das esoterische Welterklärungsmodell läuft auf Hochtouren, das Verhängnis als Lebensinhalt. Kathrin Röggla hat eine bitterböse Groteske über Katastrophenhysterie und Katastrophengeilheit verfasst. Aus dieser Textvorlage komponiert die Regisseurin Antje Thoms ein Oratorium der Panik. Unbeteiligtes Betrachten der Katastrophe bis zur Hysterie sind zu einem Konzert der Stimmungen vereint. Die nicht näher charakterisierten Spielfiguren verhalten sich schizophren, als Opfer und Profiteure des Untergangs. Sie sprechen über sich in der dritten Person und im Konjunktiv, als unbewusste Beobachter ihrer selbst. Der medial suggerierte Untergang verselbstständigt sich. Auch in den nicht direkt betroffenen Personen des Stücks macht sich reale Panik breit. Und Bunkermentalität, wie im richtigen Leben. Das muss, das wird in der gesellschaftlichen Demontage enden, in der psychischen wie physischen Selbstzerstörung. Aus Angst vor der Angst. In eineinhalb Stunden verwandelt das Stück die Sparte4 in einen immer beklemmenderen, klaustrophobischen Raum.