„Angespannt und unter Strom verfolgt man dieses rasante Stück, bis das laute Gebilde nach eineinhalb Stunden ganz leise zerbricht. Aufregend, anregend. Aber streckenweise auch echt anstrengend.“
2014, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen
Text: Felicia Zeller Regie: Antje Thoms und Erich Sidler Dramaturgie: Matthias Heid Fotos: Isabel Winarsch
Mit: Elisabeth Hoppe, Gabriel von Berlepsch, Frederik Schmid
„Weltverbesserung muss heute die Sprache des Kapitalismus sprechen“
Die Welt wird effizienter, täglich ein bisschen mehr. Und damit sie das wird, müssen wir alle effizienter werden, täglich ein bisschen mehr. Anne, Holger und Peter haben das Prinzip Effizienz komplett verinnerlicht, sie sind Workaholics, immer getrieben vom nächsten Projekt, das es durchzuziehen gilt. Alle drei sind geübte Darsteller ihres Erfolgs und kaschieren routiniert ihr Scheitern. Eigentlich wäre es Zeit für ein gutes Gespräch unter Freunden, ein Innehalten, ein gemeinsames Besäufnis, Urlaub, um den Druck loszuwerden. Aber das wäre ein Rezept von vorgestern. Stattdessen steigern sie sich in eine Hyperkommunikation, sind ständig erreichbar, ständig auf allen verfügbaren Kanälen präsent und verschwinden hinter ihren Nachrichten. Sie sind online, ohne erreichbar zu sein.
Arbeit ist – neben Konsum – im 21. Jahrhundert zur letzten sinnstiftenden Kraft geworden.
Der moderne Mensch definiert sich über seinen Beruf. Felicia Zellers „X-Freunde“ verdichtet die Sprache der Arbeitswelt zu hermetischen Wortkaskaden, die entlarven, dass diese sich längst verselbstständigt hat. Die Menschen drehen das Hamsterrad, in dem sie gefangen sind und das sie selbst erschaffen haben, immer schneller – bis zum bitteren Ende.
Gewaltiger Sprachfluss
Ein witzig bis brutaler, aber vor allem gewaltiger Sprachfluss entsteht, der unnachgiebig strömt und die Zuschauer im ausverkauften Keller mitreißt. Die Inszenierung unter der Regie von Intendant Erich Sidler und Hausregisseurin Antje Thoms benötigt nicht viel Platz. Sie verlegen die Handlung größtenteils auf einen Balkon. Ganz kleiner Raum für die großen Pläne der scheiternden Existenzen. Hoppe spielt Anne aufgewühlt. Mit zerzausten Haaren hechtet sie den Aufgaben ihrer Agentur hinterher. „Stress soll ja auch positiv“. Berlepsch entwickelt seine Figur im Laufe des Spiels. Lebt irgendwie neben den Arbeitenden her und schafft sich seine eigene Arbeitswelt im Haushalt. So lange, bis der Druck, der auf ihm lastet, aus ihm herausbricht. Dazwischen Schmid als Freund Peter. Gekonnt zeichnet er den Bildhauer, der mit vordergründiger Gelassenheit seine Kreativitätskrise zu kaschieren versucht. – Kreativität, die die Inszenierung reichlich besitzt.
Wahnsinn!
Den Schauspielern steht der Wahnsinn buchstäblich ins Gesicht geschrieben. In ihren Augen spiegeln sich Leere, Verzweiflung und Einsamkeit wider. Der Druck, der auf ihnen lastet, entlädt sich in unendlichen, monologischen Wortschwällen, kein Satz wird beendet. Immer folgt schon wieder der nächste Gedanke. Cholerische, zynische Ausbrüche wechseln sich mit apathischen Monologen ab. Die Stimmen überschlagen sich. Die Sätze werden immer unzusammenhängender, abgehackter. Das ohnehin schon rasante Tempo schraubt sich immer weiter in wahnsinnige Höhen. Bis zum Zusammenbruch. Bis zur Eskalation. Bis zum bitteren Ende. Wahnsinn!
Kunstvolle Darstellung der modernen Effizienz-Gesellschaft
Wortwellen und Monologe stürzen wie ein rauschender Wasserfall auf den Zuschauer; Monologe, die so schnell über die Lippen der Protagonisten geschmettert werden, als würden selbst sie einen Marathon laufen – genauso schnell, wie sich die heutige Arbeits- und Privatwelt dreht, verändert und verwandelt. Stetig. Kaum ein Satz wird noch zu Ende gesprochen. Die Darsteller spielen so nah am Leben, dass man sich zeitweilig mit auf den Wohnungs-Balkon wünscht, der als Bühne fungiert, um seinen eigenen Unmut über Job und Privatleben loszuwerden. Alle drei sind Selbstdarsteller ihres nicht vorhandenen Erfolges und zerbrechen daran. Sie sind quasi Prototypen des modernen Homo Sapiens und fügen sich mit der Kunst der anderen, wie Regie, Bühnenbild, Kostüm und Technik zu einer kunstvollen Darstellung der modernen Effizienz-Gesellschaft zusammen. Teils amüsiert, teils deprimiert, teils völlig überfordert – ob der Geschwindigkeit des Geschehens – schaut der gefesselte Zuschauer in einen Spiegel, den Anne, Holger und Peter ihm immer näher vor die Nase halten. Angespannt und unter Strom verfolgt man dieses rasante Stück, bis das laute Gebilde nach eineinhalb Stunden ganz leise zerbricht. Aufregend, anregend. Aber streckenweise auch echt anstrengend.
Keine Zeit für gar nichts
Selbstoptimierung im Namen der Effizienz, immer volle Pulle Kommunikation auf allen Kanälen, ständig online, aber niemals wirklich im Hier und Jetzt erreichbar – so hetzen Anne, Holger und Peter durch ihr Leben. Diese Zeitgenossen haben keine Zeit für gar nichts, nicht einmal dafür, ihre Sätze zu Ende zu bringen. So fühlt sich dann auch der empathische Zuschauer enorm gestresst, während er das den Herzinfarkt fördernde Gewusel der drei Workaholics auf ihrem Balkon bestaunt. Zellers Stück „X-Freunde“ übt sehr unterhaltsame und äußerst wirkungsvolle Gesellschaftskritik am Turbokapitalismus, in dem der Mensch sich nur noch über seine Arbeit und über seinen Konsum definiert und dabei vergisst, das Leben als das zu genießen, was es ist: ein Geschenk.