„Antje Thoms hat ein Stück allerbester Unterhaltung inszeniert und es bleibt nur zu sagen: Unbedingt ansehen!“
2015, Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen
Text und Musik: Georg Kaiser, Mischa Spoliansky Regie: Antje Thoms Dramaturgie: Matthias Heid Ausstattung: Florian Barth Musikalische Leitung: Michael Frei Choreografie: Valentí Rocamora i Torà Fotos: Thomas M. Jauk / Stage-Picture
Mit: Gaby Dey, Lutz Gebhardt, Andreas Jessing, Benjamin Kempf, Benjamin Krüger, Karl Miller, Moritz Schulze, Marie Seiser, Ralf Sepan, Andrea Strube, Katharina Uhland, Anton von Lucke Band: Rolf Denecke, Michael Frei, Thomas Müller, Rolf Rasch, Kerstin Röhn, Toni Säckl, Manfred von der Emde, Kristina van de Sand Tänzer:innen: Julia Bottenhorn, Hannes Blut, Hannah Breuker, Dario Gödecke, Viktoria Labitzke, Desiree Zurek
„Um der Mission willen, die unser Land in der Welt zu erfüllen hat.“
Manchmal genügt schon ein Krawattentausch, um dem Leben eine ganz neue Richtung zu geben. So geschieht es dem Kellner Jean, der einem Ganoven zur Flucht verhilft und ab sofort dank edler Krawatte für wohlhabend gehalten wird. Mit dem Los der Tombola gewinnt Jean eine Reise nach Amerika, auf dem Ball lernt er die reiche Amerikanerin Mabel kennen, mit der er auch gleich den Hauptgewinn antritt. Doch seine Freundin Trude gibt so schnell nicht auf. Sie schifft sich auf demselben Dampfer ein und lässt „ihren“ Jean nicht aus den Augen. Dabei fällt sie allerdings Rechtsanwalt Bannermann auf, der sie bald als die gesuchte Erbin eines 40-Millionen-Dollar-Vermögens identifiziert. Trude allerdings hat andere Prioritäten: Bevor sie das Erbe antritt, will sie Jean zurückerobern. Nach turbulenten Verwicklungen flieht Jean, der fürchtet, dass seine Hochstapelei doch einmal auffliegen könnte und seinerseits mit einem amerikanischen Kellner die Krawatte tauscht.
Georg Kaiser hat eine absurd-komische Farce geschrieben, die jeden Gedanken an eine solide Lebensplanung ad absurdum führt.
In „Zwei Krawatten“ beschert der Zufall einen Lotteriegewinn und alle daraus resultierenden Komplikationen werden durch immer wahnwitzigere Zufälle auf die Spitze getrieben. Zugleich betreibt Kaiser in der Revue lustvoll Kritik am Kapitalismus. Alle außer Trude – der großen Romantikerin, die als einzige an die wahre Liebe und echte Gefühle glaubt – rennen wie verrückt dem Geld, der nächsten Chance und dem Erfolg hinterher, der hier ebenso schnell und zufällig kommt wie vergeht.
Schrill und turbulent
Requisiten in Pink, gute Musik und Klischees über Armut, Reichtum, Liebe hat die neue Musikproduktion am DT reichlich zu bieten. Die Zuschauer waren begeistert von der Inszenierung von Antje Thoms, die das Zwanziger-Jahre-Stück aufgepeppt hat. Man kann es mit Rechtsanwalt Bannermann halten, der regelmäßig sagt, „ist ja ekelhaft“. Soviel Protz und Prunk hat das Revuestück zu bieten, dass es kaum auszuhalten ist. Aber damit gelingt zugleich die Persiflage, die Regisseurin Antje Thoms dem Publikum serviert. Denn natürlich ist das große Geld, das Kellner Jean mit einem Krawattentausch und einem Lotteriegewinn erwartet, am Ende nichts wert: Die Liebe zur armen Trude ist stärker als der Reichtum der amerikanischen Beef-Erbin Mabel. Soweit das grobe Strickmuster des von Georg Kaiser stammenden Revuestücks. Das hat Florian Barth sehenswert ausgestattet mit einer schnell vom Varieté zum Schiffsdeck bis hin zur New Yorker Großstadtschlucht wandelbaren Bühne und Kostümen, die von schlicht bis üppig, und das vor allem in Pink, für elf Schauspieler und sechs Tänzer so komisch wie passend sind. Verfolgung, Verwechselung, Verachtung und ein Vermächtnis sorgen für turbulente Szenen. Vom Charleston bis zum Rock’n’Roll spielt „Die Windsor-Knoten-Band“ dazu die Sounds. Die acht Musiker unter der Leitung von Michael Frei betonen musikalisch gekonnt leger die Handlung. Nicht nur sie lassen das Berlin, New York und Chicago der Zwanziger Jahre hinter sich, und damit die Kompositionen von Mischa Spoliansky, wenn im Palais der Corned-Beef-Dynastie Marilyn und Elvis auftreten. Damit haben dann Marie Seiser und Andreas Jeßing zugleich mal fix die Kostüme als Trude oder Anwalt Bannermann abgelegt. Nicht nur sie haben Vielseitigkeit zu beweisen. Gaby Dey wandelt sich von der volltrunkenen Kneipenmadame zur Sängerin Kleopatra und dann zur neureichen Beef-Lady Robinson. Deren Nichte Mabel gibt Katharina Uhland fabelhaft mit starkem Ami-Akzent und ausdauernder Grinsekatze-Miene. Karl Miller macht groß und schlank im Satinanzug, pink natürlich, als Charles brav Männchen und geht mit Leibesfülle als ultrakonservativer Senator Meckarton auf die Knie. Bezwungen vom einstigen Kellner Jean. Diesen erfindet Benjamin Krüger von dienstbeflissen, überheblich, neureich, nachdenklich bis geläutert immer wieder neu. Soviel Klamauk und Spektakel in Pink gibt es mit „Zwei Krawatten“ zu sehen, dass einem schwindelig werden kann. Aber mit Vergnügen, weil der schrille Abend eine große Portion gute Unterhaltung ist.
Allerbeste Unterhaltung
1929 wurde „Zwei Krawatten“ von Georg Kaiser uraufgeführt – und hat an Aktualität nichts eingebüßt. Die Umsetzung der Story kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Geboten werden schrille 165 Minuten – ein sensationelles Bühnenbild, die pausenlose Präsenz der Schauspieler durch schnelle Rollenwechsel, aber auch durch Tanz und Gesang, die Kostüme, und die Musik der Swingband machen vor allem eines: Richtig viel Spaß. Das Ensemble des Deutschen Theaters und die Tanzgruppe verschmelzen zu einer Einheit, bunt, lustig und laut kommt „Zwei Krawatten“ daher. Antje Thoms hat ein Stück allerbester Unterhaltung inszeniert, und es bleibt nur zu sagen: Unbedingt ansehen!
Krawatten machen Leute
Am DT geht es knallig bunt und überdreht zu – eine weiße Krawatte, eine Blüte am Revers: Fertig ist der Kavalier. Für Kellner Jean (mit starker Bühnenpräsenz: Benjamin Krüger) kann die Reise in ein neues Leben beginnen. Krawatten machen Leute, und ein simples Papierkärtchen mit einer Losnummer hat die Kraft, Lebenskurven in eine andere Richtung zu biegen. Die Hoffnung, einem vorgezeichneten Weg zu entfliehen, und das Bedürfnis, herauszufinden, wie eng man in die Gesellschaft eingebunden ist, sind die Themen, durch die die Revue „Zwei Krawatten“ ihre lockere Anbindung in unsere Gegenwart findet. Die Premiere des heiteren Musikstückchens wurde am Samstag in der Regie von Antje Thoms mit viel Applaus aufgenommen. Die Choreografien von Valentí Rocamora i Torà sind großartig detailreich, die Swingband unter Leitung von Michael Frei spielt schmissig und nuanciert auf. Zusammen mit ambitionierten Tänzern und den gut aufgelegten Schauspielern entrollt sich eine knallig-bunte Revue, die sich durch den Mut zu hemmungsloser Albernheit auszeichnet. Schon die fies glänzenden Kostüme von Florian Barth setzen starke Akzente. Das Amerika, in dem Jean landet und wo er beinahe Mabel, Sprössling der steinreichen Chicagoer Fleischverarbeitungs-Fürstin Frau Robinson, heiratet, wird als puppenhafte Barbie-und-Ken-Welt gezeigt, in der an Bräunungscreme nicht gespart wird. Mit Tänzen zwischen pinkfarbenen Gummiflamingos und mit Ausschweifungen rund um ein grundschulkindgroßes Ananasbowlen-Gefäß lässt es sich prächtig leben – doch irgendwann kommt Jean in eine derartige Bedrängnis, dass auch er seine Krawatte mit einem Kellner tauschen und verschwinden muss. Parallel zur kreischigen Kunstwelt wird in der lockeren Szenenfolge die Geschichte der deutschen Trude erzählt, die ihren Freund Jean sucht und dabei einen Anwalt trifft, von dem sie erfährt, dass sie Erbin eines Millionenvermögens ist, das jenes der Wurstkönigin noch übertrifft. Die Szenenbilder vom videoprojizierten Times Square in New York, von den sich rhythmisch bewegenden Wellen auf der Dampferüberfahrt und aus der Enge eines Zugabteils bringen Struktur in den Abend. Zu den Liedhöhepunkten gehören der Hit „Leben ohne Liebe kannst du nicht“ sowie „Einmal möcht ich keine Sorgen haben“. Wie wars? Hemmungslos albern, tolle Band, tolle Choreografien.
Schrill, schräg und so schön böse
So schräg und absurd wie die Handlung gestaltet sich auch die Bühnenshow, die Regisseurin Antje Thoms am Deutschen Theater inszeniert hat. Als böse Farce über die Sehnsuchtswelt von Glanz und Glamour und die lukrativen Werte des schönen Scheins. Schon im Bühnenbild von Florian Barth werden alle Showeffekte als das entlarvt, was sie sind. Dekorative Illusionskulissen aus Holz und Metall. Mit Farbe und Licht behaupten sich schlichte Prospekte als Ballsäle und Vergnügungsdampfer, werden zu Luxushotels, Eisenbahnabteilen oder auch zu einer tristen Hafenkulisse. Darin kann das Illusionspersonal effektvoll posieren, damit jeder Auftritt die Wirkung eines ganz besonderen und unterhaltsamen Events bekommt. Zu Beginn macht Benjamin Krüger als angesagter Krawattenträger noch ein paar gestische Testläufe, bis die öffentliche Maske aus Eitelkeit und Berechnung stimmt. Katharina Uhlands kapitalschwere Mabel ist eine ewig strahlende Barbiepuppe an seiner Seite, die auch für unangenehme Situationen ein Lächeln parat hat. Die mütterliche Fürsorge von Konzernchefin Gaby Dey als Frau Robinson erinnert an den Auftritt einer Operndiva, die hier auf ein lukratives Bündnis mit hohem Gefühlsfaktor setzt. Und mit Karl Miller in der Rolle des bigotten Senator Meckarton kommt auch der Politentertainer zu seiner Show. Andreas Jessing, der als Notar Bannermann in Trude endlich die gesuchte Millionenerbin entdeckt, bringt hin und wieder ein bisschen ironische Erdung in das bizarre Panoptikum. Und sei es mit einem mokanten „das ist ja ekelhaft“. Dazu lassen auch die Choreografien von Valenti Rocamora i Torà die Unterhaltungsmaschinerie zwischen Hamburg, New York und Miami wirkungsvoll rotieren. Die Tänzerinnen und Tänzer sind allerdings nicht nur Zulieferer von Glanz und Glamourmotiven. Sie bilden auch Alltagsgestalten und Alltagschronisten, die sich dann zu einem Chor von funktionalen Strebern formieren, der leider keinen Zutritt zur angesagten Edelparty bekommt. Antje Thoms hat auch ein paar Show-Ikonen in diese Revue um Kohle, Karriere und Gefühle geschmuggelt. Als „special guests“ kommen Micky Maus und Goofy zum Einsatz. Auch Marilyn Monroe und Elvis Presley lassen die Musiker der „Windsor-Knoten-Band“ ein weiteres Mal zu Hochform auflaufen. In Georg Kaisers Libretto und der Musik von Michael Spoliansky spiegeln sich natürlich weiterhin die zwanziger Jahre als Entstehungszeit der „Zwei Krawatten“. Aber das eben auch mit Blick auf eine Unterhaltungsindustrie, die als opulente Täuschungsmaschinerie boomte und damals die Alarmsignale der Weltwirtschaftskrise grandios wegblendete. Schon mit seiner Gas-Trilogie zeigte sich Kaiser als dramatischer Visionär, was kapitalistische Erfolgsstrategien betrifft. Ähnlich visionär mutet sein absurdes Szenario bei der Odyssee von Jean und Trude im Land der ach so unbegrenzten Möglichkeiten an. Nur dass es dabei nicht um ein Industrieunternehmen geht, sondern um den gewinnträchtigen Wirtschaftszweig Unterhaltung, den Antje Thoms in ihrer Inszenierung dann so schön schrill, absurd und bösartig ausufern lässt. An diesem Abend wird genussvoll überzeichnet und parodiert und das mit schaurigen Effekten. Vor dem Bildschirm wäre dann vermutlich der Griff zur Fernbedienung fällig, weil bei einer Promishow mal wieder das Schwachsinnsniveau einer Show unterschritten wird und die Maskerade der Beteiligten ihren hässlichen Zenit erreicht hat. So manche telegene Zuschauerzumutung lauert in den neun Bildern dieser musikalischen Farce, deren Autor sich über die weniger unterhaltsamen Aspekte so unterhaltsam mokierte, dass das Theaterpublikum auch weiterhin in die unterhaltsame Falle tappt. In der listigen Inszenierung von Antje Thoms und ihrem tollen Entertainerteam vielleicht sogar besonders gern.