Nominiert für den Retzhofer Dramapreis 2017
ES TRETEN AUF
DER MANN / DIE FRAU
DER CHOR DER MITTELSCHICHT
Ein Panorama, zusammengesetzt aus den Momentaufnahmen kleiner Geschehnisse privaten Lebens: Es ist der 26. April. Ein Jahr vergeht. Während in der großen Welt die Stürme toben, fallen in der Siedlung die Äpfel von den Bäumen und werden zu Apfelmus eingekocht.
Im Hintergrund die Einflugschneise, das Rauschen des nicht allzu weit entfernten Autobahnzubringers. Und noch: das Klappern von Tellern, Besteckkästen und Grillzangen. Das Schlagen von Fenstern und Türen. Das große Gähnen, Schnarchen und Stöhnen der Nacht. Das Knirschen von Zähnen. Die Atemnebengeräusche – Rasseln, Pfeifen, Brummen. Unterdrückte Schreie der Wut, der Angst, der Lust. Und weint da nicht irgendwo jemand heimlich in sein Kissen? Ein tiefer Seufzer. Ein Windspiel im Garten. Ein Ball, der immer wieder gegen ein Garagentor prallt. Das Schmatzen und Rascheln eines Igels im Laub. Infernalische Reizhustenanfälle, mit und ohne Auswurf. Das Rinnen einer defekten Klospülung. Das Lärmen der heimischen Vogelarten zwischen vier und fünf Uhr morgens. Und ruft da nicht irgendwo ein Mann seine Katze? TRIXI! TRIXILEIN! Und warum riecht es hier plötzlich so komisch, zündelt da heimlich irgendjemand, verkohlt da irgendwo das Fleisch auf dem Grill oder ist das doch nur ein Lagerfeuer? Die Kirchenglocke, gerne am frühen Sonntagmorgen. Nicht zu vergessen: Das Ticken der Uhren. Das Vergehen der Zeit. Nur das Gras hört man hier niemals wachsen.
Menschen trennen sich oder ziehen zusammen, kriegen Kinder oder gehen zu Beerdigungen, falten Wäsche oder mähen den Rasen. Sie besitzen Bücherwände, Carports, Haushaltsgeräte, Funktionskleidung und Apfelbäume, sie beschäftigen Fensterputzer, Steuerberater, Handwerker und Gärtner, sie gehen zur Zahnreinigung, zum Kinderturnen und zur Psychotherapie. Ihr Treiben wirkt häufig wie eine fix verabredete Choreografie, dabei passiert alles zufällig. Doch offensichtlich folgen die Wege des Alltags strengen Mustern und weichen selbst in der Wiederholung nur minimal voneinander ab. Die Einförmigkeit hinterlässt Spuren, in den Gesichtern, auf den Möbeln und an den Wänden. Was ist das für ein Leben, das man zwischen Supermarkt, Kreisverkehr, Einbauküchen und Vorgärten verbringt, vor allem, wenn man bedenkt, wie groß das Universum ist?